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Das neue Kriseninstrument der EZB – Ein scharfes Schwert oder ein Papiertiger?

In der vergangenen Woche war es nun so weit: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat als einer der letzten der großen Zentralbanken ihren Leitzins angehoben, und das sogar um einen halben Prozentpunkt. Dies war die erste Zinserhöhung seit mehr als einem Jahrzehnt und doppelt so hoch wie noch im Vormonat von der Notenbank angekündigt. Der Schritt beendet acht Jahre negativer Zinssätze und hebt den Einlagensatz der EZB auf 0% an. Die Präsidentin der EZB, Christine Lagarde, sagte dazu, es sei „Zeit zu liefern“. Hintergrund ist die anhaltend hohe Inflation in der Eurozone, die im Juni ein Rekordhoch von 8,6% erreicht hat und gegen die die EZB jetzt entschieden vorgehen will. Das kommunizierte Ziel der Zentralbank liegt bekanntermaßen bei lediglich 2%.

Die Zinserhöhung erfolgte kurz nach dem Rücktritt des italienischen Premierministers Mario Draghi aus der Regierung der nationalen Einheit, die sich aus Parteien der Rechten, des Anti-Establishments und der linken Mitte zusammensetzte. Der Rücktritt führt nun zu vorgezogenen Neuwahlen, die für den 25. September angesetzt sind. Nachdem Herr Draghi für einen besonnenen, EU-freundlichen Politikstil stand, besteht jetzt das Risiko, dass konservative und euroskeptische Parteien die nächste Regierung bilden werden.

Die Reaktion der Märkte auf diese beiden Ereignisse ließ nicht lange auf sich warten. Die Zinsen auf zehnjährige italienische Staatsanleihen stiegen am Tag des Rücktritts bzw. der Zinserhöhung um 0,27 Prozentpunkte auf beinahe 3,7%. Zum Vergleich: Am Jahresanfang standen die italienischen Zinsen noch bei 1,2%. Der besonders starke Druck auf italienische Staatsanleihen führte dazu, dass der Abstand zwischen den italienischen und deutschen Renditen („Spreads“) – ein genau beobachteter Indikator für die Anspannung auf den Rentenmärkten – auf bis zu 238 Basispunkte anstieg, was einer Ausweitung von mehr als 30 Basispunkten in nur zwei Tagen entspricht (Jahresanfang: ca. 133 Basispunkte). Inzwischen liegt der Abstand bei knapp unter 230 Basispunkten, was aber nur knapp unter dem Niveau von 250 liegt, welches von einigen Marktteilnehmern als besorgniserregend angesehen wird.

Abgesehen von der politischen Krise in Italien, kam die Entwicklung nicht unerwartet. Zwar konnte die EZB die aktuelle politische Entwicklung in Italien wohl kaum vorhergesehen haben. Die Tatsache, dass eine konservativere Geldpolitik aber zu einer Ausweitung der Spreads zwischen den Mitgliedsländern führen würde, galt als wahrscheinlich. So verkündete Frau Lagarde beim EZB-Treffen letzte Woche auch gleich einen „historischen Moment“: Die Mitglieder des Notenbankrats hatten einstimmig beschlossen, ein neues Instrument zum Ankauf von Anleihen zu schaffen, um eine neue Schuldenkrise in einigen Euroländern, bedingt durch womöglich zu hohe Zinsen, zu verhindern. Das sogenannte Transmissionsschutzinstrument (englisch: Transmission Protection Instrument, kurz TPI) ist demnach eine Maßnahme, die laut Frau Lagarde „entscheidend für die ordnungsgemäße Übertragung unserer Geldpolitik in der Zukunft“ sein wird.

Mit dem neuen Instrument gibt sich die EZB die Befugnis, Anleihen eines Landes in unbegrenzter Höhe zu kaufen, wenn sie der Meinung ist, dass die Zinsen des Landes über das durch die wirtschaftlichen Fundamentaldaten gerechtfertigte Maß hinaus ansteigen. Anfangs waren Länder wie Deutschland oder die Niederlande skeptisch gegenüber derartigen Maßnahmen, da sie die befürchteten, die Zentralbank würde damit die Ausgabenfreude finanzpolitisch schwächerer Länder fördern. Der Ausverkauf auf vielen Anleihemärkten, insbesondere dem italienischem, in Erwartung eines Zinsanstiegs (also bereits vor der politischen Krise in Italien) hatte die Notenbank aber nun dazu gedrängt, das neue Instrument früher als zuvor gedacht fertig zu stellen.

Die Formulierung der Programm-Bedingungen deutet darauf hin, dass die Zentralbank auf jeglichen Druck des Marktes auf die Mitgliedstaaten reagieren kann, außer eben auf Ursachen, die durch Änderungen der Wirtschaftsaussichten entstehen. Außerdem könnte die Notenbank Wertpapiere des privaten Sektors kaufen, „wenn dies angemessen ist“. Insgesamt gibt es nur wenige Grenzen für den Umfang dieser Käufe im Rahmen des TPI. Das Ausmaß wird laut EZB „von der Schwere der Risiken“ abhängen und nicht von einer vorher kommunizierten oder vereinbarten Obergrenze.

Völlig bedingungslos ist das neue Instrument allerdings nicht. Um sich vor Klagen, wie beispielsweise durch das deutsche Bundesverfassungsgericht (wie in der Vergangenheit mit Bezug auf andere EZB-Programme bereits geschehen) zu schützen, hat die EZB das neue Programm an einige relativ einfache Bedingungen geknüpft. Die betreffenden Euroländer dürfen etwa nicht gegen die Haushaltsregeln der EU verstoßen und müssen zudem die Bedingungen für den EU-Wiederaufbaufonds erfüllen. Außerdem wird die EZB prüfen, ob die Entwicklung der Staatsverschuldung eines Landes nachhaltig ist „und ob es eine solide und nachhaltige makroökonomische Politik“ verfolgt.

Hier könnte die Achillesferse des Programms liegen, wenn ein Land, wie aktuell Italien, in eine selbstverschuldete politische Krise gerät. Eine neue italienische Regierung könnte sich nämlich weigern, die im Rahmen des EU-Konjunkturprogramms vereinbarten Strukturreformen durchzuführen. Frau Lagarde sagte hierzu, dass „Unterschiede in der lokalen Finanzierung legitimerweise auftreten können“ und deutete an, dass die EZB nicht eingreifen würde, wenn sie der Meinung ist, dass die Investoren auf berechtigte Sorgen über die Richtung der italienischen Wirtschaftspolitik reagieren. Sollten die italienischen Anleiherenditen also aufgrund der anhaltenden Unsicherheit über das Wahlergebnis steigen, könnte die EZB beschließen, das TPI Programm nicht zu aktivieren.

Vor zehn Jahren reichten die berühmten Worte des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi „Whatever it takes“, um die Märkte während der Euro-Krise zu beruhigen. Aktuell machen sich die Märkte in der Eurozone wieder Sorgen, insbesondere um das Mitglied Italien. Bisher ist es eine eher kleine Angelegenheit, ironischerweise, neben dem Zinsanstieg, ausgelöst durch Herrn Draghis Rücktritt von seiner Tätigkeit als Ministerpräsident. „The ECB is capable of going big“, sagte nun Nachfolgerin Christine Lagarde zum neuen TPI Programm der Zentralbank. Ist dies also die neue Aussage, die die Märkte jetzt beruhigen soll? Bisher zeigten sich die Anleihemärkte eher unbeeindruckt. Entscheidend könnte die unterschiedliche Umgebung sein, in der die beiden Aussagen, getroffen wurden. Zu Zeiten Herrn Draghis war die Inflation niedrig und seine Aussage war dadurch glaubhaft. Aktuell leidet die Eurozone hingegen unter einer rekordhohen Inflation, was es eher unglaubwürdig erscheinen lässt, dass die EZB bei Problemen an den Anleihemärkten ihre Geldschleusen unlimitiert öffnet.

Die EZB scheint also mit der bloßen Verkündung des Programms noch nicht aus dem Schneider zu sein. Sie hofft dabei wohl, dass die abschreckende Wirkung des TPI Programms ausreichen wird und es daher erst gar nicht eingesetzt werden muss. Es könnte aber durchaus sein, dass die EZB schon bald von den Finanzmärkten auf die Probe gestellt wird und sie zeigen muss, wie ernst es ihr mit der Umsetzung des Programms ist.