Hotline:  089 588 055 491

Der Blick in die Kristallkugel

Der Dezember ist die traditionelle Zeit, in der Anleger und Analysten sich mit den Herausforderungen des kommenden Jahres beschäftigen und den Blick in die Kristallkugel wagen. Steigen die Aktienkurse weiter? Wie stark wächst die Wirtschaft im kommenden Jahr? Bleibt die Inflation so hoch? Wie werden die Notenbanken reagieren? Welche Risiken gilt es im Auge zu behalten?

Das Jahr 2021 dürfte für die Aktienindizes in Deutschland und den USA gut enden. Aus vorweihnachtlicher Sicht können DAX und S&P 500 mit einem beachtlichen zweistelligen Plus glänzen. Die Rally könnte im nächsten Jahr noch weitergehen, das legen zumindest die Prognosen diverser Banken nahe. Doch nach drei Jahren in Folge mit steigenden Aktienkursen dürfte es zunehmend schwieriger werden. Das lässt zumindest die Statistik vermuten. Denn in den letzten knapp 100 Jahren ist es dem S&P 500 nur fünf Mal gelungen, in vier aufeinanderfolgenden Jahren Gewinne zu verbuchen.

Ein Grund für den Optimismus der Analysten dürfte die erhoffte Pandemieentwicklung sein. Nach Startschwierigkeiten zu Beginn von 2021 ist die Impfquote mittlerweile in vielen Industrieländern recht hoch. Zuletzt hat die europäische Gesundheitsbehörde mit Novavax einen fünften Impfstoff für die EU zugelassen. Neben den Impfstoffen gibt es nun auch Medikamente zur Behandlung von Covid-19, etwa von Pfizer und Merck. Diese sollen das Risiko verringern, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden oder am Virus zu sterben.

Gefahr droht allerdings von Virusvarianten, die den Schutz aufgrund von durchgemachter Krankheit oder Impfung unterlaufen, wie derzeit Omikron. Boosterimpfungen können den geschwächten Schutzschild zum Teil zwar wiederherstellen. Doch diese Impfdosen fehlen dann in den Entwicklungsländern. Mitte Dezember überstieg die Zahl der Boosterimpfungen in den reichen Ländern bereits die Zahl aller verabreichten Impfdosen in den armen Ländern. Solange die Impfquote in den Entwicklungsländern aber so niedrig bleibt, so lange besteht jederzeit das Risiko, dass sich dort neue Virusvarianten entwickeln und uns heimsuchen.

Aus wirtschaftlicher Sicht mag es daher tröstlich sein, dass die Folgen der Pandemie die Volkswirtschaft mit jeder Welle immer weniger, und dann auch nur für kurze Zeit belasten. Erst kürzlich hat die Bundesbank ihre wirtschaftlichen Erwartungen für 2021 und 2022 korrigiert. Für Deutschland rechnet sie in diesem Jahr nur noch mit einem Wachstum von 2,5% statt 3,7%, gefolgt von 4,2% anstelle von 5,2% in 2022. Im vierten Quartal 2021 könnte das Bruttoinlandsprodukt sogar etwas fallen, aber ab dem Frühling wird wieder mit starken Zuwächsen gerechnet, dank eines Konsumbooms, sowie höherer Exporte und Investitionen. Dies wäre immer noch ein beachtliches Expansionstempo, vor allem, wenn man es mit den mageren Wachstumsraten von durchschnittlich unter 2% in den 10 Jahren vor der Pandemie vergleicht.

Risiken für den Wachstumsausblick kommen aber nicht nur von der Pandemie. Die Geldpolitik wird weniger freundlich werden als noch in 2021 (siehe dazu auch unseren Wochenkommentar vom 21.12.). Gleichzeitig fehlen zunehmend die fiskalischen Impulse. In Europa mangelt es zum Teil an den Kapazitäten, die im Prinzip verfügbaren EU Gelder in Anspruch zu nehmen. So hat Spanien beispielsweise in seinem Haushalt für dieses Jahr mit 27 Mrd. Euro aus den EU Töpfen gerechnet. Daraus sollte ein Wachstumsimpuls von 2,6% resultieren. Nach Schätzungen des spanischen Sparkassenverbands werden es am Ende des Jahres aber wohl nur 7 Mrd. Euro sein, der Impuls für die Wirtschaft daher lediglich 0,6% betragen.

Währenddessen ist in den USA das Schicksal des „Build Back Better“ Stimulusprogramms zunehmend ungewiss. Wiederstand innerhalb der demokratischen Partei hat den Umfang immer weiter auf unter 2 Bio. US-Dollar schrumpfen lassen. Verteilt auf die anvisierten zehn Jahre entspräche dieser Betrag gerademal rund 1% des Bruttoinlandprodukts. Die US Investmentbank Goldman Sachs rechnet nicht mehr mit der Verabschiedung des Programms und hat dies zum Anlass genommen, ihre Konjunkturerwartungen für 2022 nach unten zu schrauben. Die Notenbank Fed selbst erwartet nur noch 4% Wachstum im kommenden Jahr, nach einem Plus von voraussichtlich 5,5% in 2021.

Ein etwas schwächeres Wirtschaftswachstum dürfte an den Aktienmärkten vielleicht sogar begrüßt werden. Denn dies trägt dazu bei, die Nachfrage und damit die rekordhohe Inflation zu dämpfen. Die meisten Analysten gehen davon aus, dass die Inflation spätestens im ersten Quartal 2022 ihren Höhepunkt erreicht und sich danach schrittweise abbaut. Dafür sprechen die Hoffnung auf rückläufige Energiepreise, sobald der Winter hinter uns liegt, eine schwächere Nachfrage nach Gütern, die Erwartung sinkender Frachtkosten nach den Feiertagen und ein Abflauen der Angebotsengpässe im Verlauf des kommenden Jahres. Hinzu kommt, dass Basiseffekte, die in 2021 zum Inflationsanstieg beigetragen haben, nun dämpfend wirken sollten. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die EZB sieht für die Eurozone im Jahresdurchschnitt immer noch eine Inflation von über 3% in 2022 und erst im darauffolgenden Jahr einen Wert von unter 2%. In Deutschland befürchtet die Bundesbank, dass die Inflation bis 2024 über 2% liegen könnte.

Aus Sicht der Notenbanken ist daher Wachsamkeit gefordert, um zwischen Wachstums- und Inflationsrisiken zu navigieren. An den Kapitalmärkten hat man sich zwar auf eine Verschärfung der Geldpolitik ab dem kommenden Jahr eingestellt. Befürchtet wird allerdings, dass den Notenbanken die schwierige Gradwanderung misslingen könnte. Einer Umfrage der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge befürchten fast 37% der befragten Vermögensverwalter einen „Politikfehler“. Damit ist gemeint, dass die Notenbanken das Ruder zu sehr herumreißen könnten, nachdem sie lange Zeit in 2021 die Inflationsrisiken kleingeredet haben. Für rund 33% der Befragten besteht das Hauptrisiko in einer davongaloppierenden Inflation.

Andere Risiken wie das Pandemiegeschehen, geopolitische Spannungen (Ukraine, Taiwan, Iran, usw.) oder ein Konjunktureinbruch in China spielen hingegen aus Sicht der Umfrageteilnehmer nur eine untergeordnete Rolle. Doch oft sind es diese unterschätzten oder nicht beachteten Risiken, die zum eigentlichen Problem werden. Wie schon der damalige US Verteidigungsminister Donald Rumsfeld feststellte, gibt es Risiken die wir kennen, solche die wir nicht kennen und sogar Risiken, von denen wir gar nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. „There are known knowns… But there are also unknown unknowns“.

Wir freuen uns, dass Sie uns dieses Jahr als Leser begleitet haben, und hoffen für Sie auch in 2022 den Blick für die bekannten und unbekannten Risiken zu schärfen.