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Die Energiekrise in Europa – Wie die deutsche Wirtschaft sie bisher bewältigt hat und was sich als erfolgreicher Wirtschaftsstandort ändern muss

Dr. Klaus Härtl
Economist

Im Dezember 2022 sind laut Statistischem Bundesamt die Preise in der Bundesrepublik um 9,6% im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Das ist zwar ein Rückgang gegenüber den 11,6% im Oktober, aber dennoch weiterhin deutlich über dem 2%-Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB). Für das Jahr 2023 rechnet die Bundesbank damit, dass die Inflation weiter zurückgehen dürfte, allerdings bleibt sie wahrscheinlich auf einem deutlich zu hohen Niveau. Als Reaktion auf den anhaltenden Preisdruck hat die EZB seit Juni 2022 ihre Leitzinsen in vier Schritten angehoben. Der Einlagesatz liegt mittlerweile bei 2,0%, davor war er bei -0,5% gelegen. Laut Aussagen der EZB-Ratsmitglieder werden weitere Zinserhöhungen im aktuellen Jahr folgen.

Treiber der Inflationsentwicklung im vergangenen Jahr waren insbesondere die Energiepreise. Diese sind nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine deutlich angestiegen und haben inzwischen für eine breiter angelegte Inflation gesorgt. Denn die Energiekosten beeinflussen die Preise vieler weiteren Produkte und Dienstleistungen, da Energie für die Herstellung vieler Wirtschaftsgüter von zentraler Bedeutung ist. Auch wenn man die (volatilen) Energiepreise bei der Berechnung der Inflation oft außen vorlässt, wodurch man die zugrundeliegende Inflation misst („Kerninflation“), haben die Energiepreise dennoch starke Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Denn die erhöhten Kosten belasten die Budgets von Verbrauchern und Unternehmen, was zu geringeren Ausgaben an anderer Stelle führt.

Laut Statistischem Bundesamt konnte die deutsche Volkswirtschaft bisher diesem konjunkturellen Gegenwind noch etwas entgegensetzen, denn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte im abgelaufenen Jahr um 1,9% zu. Entgegen der Erwartungen vieler Analysten ist die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal wohl nicht zurückgegangen, sondern ist vermutlich konstant zum Vorquartal geblieben. Der Blick nach vorn ist jedoch weiterhin mit viel Unsicherheit behaftet. Viele Ökonomen erwarten aufgrund der hohen Inflation und der steigenden Zinsen für das gerade begonnene Jahr eine Rezession. Laut einer Ifo-Umfrage hat sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft in letzter Zeit aber wieder verbessert. Auch Finanzanalysten und Haushalte blicken wieder etwas optimistischer in die Zukunft. Einige deutsche Geschäftsbanken rechnen inzwischen nicht mehr mit einer „Winterrezession“ in Deutschland. Selbst die Bundesbank gibt zu, dass das BIP weniger zurückgehen könnte als noch im Dezember erwartet.

Inzwischen hat sich die Lage an den Energiemärkten wieder etwas entspannt, da die Preise für Erdgas und Strom in den vergangenen Wochen gesunken sind und eine akute Mangellange in diesem Winter immer unwahrscheinlicher wird. Jedoch liegen die Preise weiterhin deutlich über dem langjährigen Durchschnitt, was laut Deutscher Bundesbank „auf absehbare Zeit“ auch so bleiben dürfte.

Auch wenn sich die deutsche Wirtschaft bisher als widerstandsfähig erwies, stellt sich die Frage, was der angespannte Energiemarkt für den Wirtschaftsstandort Deutschland bedeuten wird. Denn die Verteuerung der Energiepreise belastet viele Unternehmen in Deutschland, insbesondere diejenigen mit einer energieintensiven Produktion.

Bisher verlief die Energiekrise noch relativ mild. So konnte das verarbeitende Gewerbe in Deutschland seit Mitte des vergangenen Jahres seinen Gasverbrauch um etwa 30% senken, was die Anpassungsfähigkeit der Industrie unterstreicht. Außerdem half bisher auch der schwache Euro als vorübergehender Puffer, die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands aufrechtzuerhalten.

Doch strukturell wird es bei dem Wettbewerbsnachteil der teuren Energiepreise in Europa bleiben. Im Vergleich zu den USA sind die Kosten hierzulande nämlich seit dem Rückgang russischer Gaslieferungen deutlich höher, denn die USA verfügen über ausreichend eigene fossile Energieressourcen.

Um diesen Wettbewerbsnachteil aufzulösen, benötigt der Wirtschaftsstandort Deutschland eine sichere Energieversorgung sowie stabile und kalkulierbare Energiepreise. Dies betonte das Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank, Sabine Mauderer, jüngst bei einer Rede. Sie forderte daher, dass einerseits Unternehmen und Haushalte ihren fossilen Energieverbrauch weiter reduzieren müssten. Andererseits sei es notwendig, auf der Angebotsseite die Voraussetzungen dafür zu schaffen, was bedeutet, den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. Das hat auch die Bundesregierung erkannt und möchte, dass bis 2030 mindestens 80% des Stroms aus erneuerbaren Energien stammt. Aktuell liegt der Anteil bei knapp 50%.

Da der Stromverbrauch jedoch nur etwa 20% des gesamten Energieverbrauchs in Deutschland ausmacht, benötigt man auch Strategien für fossile Brennstoffe, wie Gas und Öl. Als prominenteste Alternative ist hier Wasserstoff zu nennen. Frau Mauderer forderte deshalb, dass das Ziel Deutschlands sein müsse, sich Zugang zu Energie zu verschaffen, die „kostengünstig, nachhaltig ist und keine neue Abhängigkeit erzeugt“. Hierzu sollten alle Möglichkeiten der europäischen Eigenversorgung grenzüberschreitend diskutiert werden. Auch ein koordinierter Energieimport auf europäischer Ebene würde die Verhandlungsposition und damit die Preise positiv beeinflussen. Das Beispiel Wasserstoff, aber auch die Versorgung mit knappen Rohstoffen, zeige jedoch, dass Deutschland zudem außereuropäische Partnerschaften eingehen müsse. Dabei sollte der afrikanische Kontinent stärker in den Blick genommen werden. Insbesondere bei der energieintensiven Produktion von Wasserstoff könnte der sonnige Kontinent nämlich eine große Hilfe sein.

Bleibt die Frage, wie für diese Transformation der Wirtschaft weg von fossilen Brennstoffen gezahlt werden soll, denn dafür werden enorme Investitionssummen benötigt. Die Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) schätzt, dass für die Klimaneutralität in Deutschland bis zum Jahr 2045 jährlich 190 Milliarden Euro erforderlich seien. Laut Frau Mauderer kann der öffentliche Sektor solche Summen nicht allein finanzieren, weswegen der private Sektor einen Großteil der finanziellen Mittel bereitstellen müsse. Neben mehr Wagniskapital müsse auf das Instrument der „Blended Finance” verstärkt gesetzt werden. Hier finanziert der Staat einen Teil des Risikos innovativer Transformationsprojekte und zieht damit private Investoren an.

Doch der politische Wille zur Energie-Transformation ist nicht neu. Bereits im Jahr 2010 hatte sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, den deutschen Primärenergieverbrauch bis zum Jahr 2020 um 20% gegenüber 2008 zu senken. Im Corona-Jahr 2020 betrug der Rückgang jedoch nur 17,3% gegenüber 2008, wodurch das 20%-Ziel verfehlt wurde. Im Jahr 2021 stieg der Verbrauch aufgrund der sich erholenden Wirtschaft sogar wieder an und lag ungefähr 6 Prozentpunkte über dem Zielwert für das Jahr 2020. Es bleibt daher zu hoffen, dass dieses Mal der Druck durch die hohen Energiepreise die Anstrengungen verstärken, die deutsche Wirtschaft energiepolitisch fit für die kommenden Jahre und Jahrzehnte zu machen.

Wie eingangs erwähnt sinken aktuell die Energiepreise teils deutlich. Gas in Europa kostet ungefähr nur noch ein Fünftel des Höchststandes von August 2022. Es besteht also die Gefahr, dass diese komfortableren Preise wieder allzu schnell für ein nachlassendes Reform-Tempo sorgen könnten. Es wäre nicht das erste Mal, dass schwindender Druck auf die Politik von außen anfangs ambitiöse Reformvorhaben verlangsamt.