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Ein „Green New Deal“?

Diese Nachricht ließ aufhorchen: Ab dem Jahr 2050 will die Europäische Union klimaneutral sein – also netto keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre ausstoßen. Das soll nicht nur ein bloßes Versprechen sein. Daher will die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen diesen Vorsatz in einem Gesetz festschreiben. Um das ambitionierte Ziel zu erreichen, hat sich die EU sogar ein Zwischenziel gesetzt: Der CO2 Ausstoß soll im Vergleich zu 1990 um mindestens 50 Prozent sinken; bislang waren nur 40 Prozent vorgesehen.

 

Hohe Summen für Energiewende geplant

Einen Schwerpunkt (unter 50 Maßnahmen) bildet das Thema nachhaltige Energien: Speziell das produzierende Gewerbe soll langfristig nur noch mit erneuerbaren Energiequellen arbeiten. Wie dies im Detail geregelt wird und wie hoch sich die Belastung für die Industrie gestaltet, ist indes unklar. Insbesondere die Stahlbranche ist für eine Umstrukturierung vorgesehen. Es soll nur noch „sauberer Stahl“ mit Hilfe von Wasserstoff als Energiequelle hergestellt werden – für die geschundene Industrie wohl eine recht herausfordernde Aufgabe. Nicht allzu überraschend: Industrieverbände begrüßten die neue Strategie zwar generell, betonten aber auch ihre Sorgen über „zu schnelle, zu weite“ Beschlüsse. Außerdem soll bei künftigen Freihandelsabkommen (man beachte hier die bevorstehenden Verhandlungen mit Großbritannien) der Klimaschutz im Partnerland beleuchtet werden. Um das alles zu finanzieren, schätzt die EU-Kommission, dass Investitionen von mindestens 260 Mrd. Euro jährlich aufgebracht werden müssen – aus privaten und öffentlichen Mitteln. Ein Fonds in Höhe von bis zu 100 Mrd. Euro soll außerdem bereitstehen, um Belastungen abzufedern und kohleabhängige Länder, wie z.B. Polen, zu unterstützen. Beachtliche Summen, bei einem prognostizierten EU-Haushalt im Jahr 2020 von 168 Mrd. Euro – wovon bereits 21 Prozent für Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels bereitgestellt werden. Dies lässt erahnen, dass hierbei insbesondere private Investitionen aushelfen sollen.

 

CO2-Bepreisung prägt deutsches Klimapaket

Auch bei den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten scheint das Thema Klima politisches Gewicht gewonnen zu haben: Im November hat der Deutsche Bundestag ein Klimapaket beschlossen. Dieses soll sicherstellen, dass Deutschland bis 2030 sein Klimaziel erreicht und 55 Prozent der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einspart. Die wichtigsten Punkte sind hier: CO2-Bepreisung, Erhöhung der Steuern auf Flugtickets, Anheben der Pendlerpauschale und die Förderung der Gebäudesanierung. Zunächst führten Widerstände der Länder das Paket in den Vermittlungsausschuss. Inzwischen scheint aber eine Einigung in Sichtweite: Demnach soll der CO2-Preis zum 1. Januar 2021 mit 25 Euro statt bislang geplanter zehn Euro starten. Bis 2025 soll er dann auf 55 Euro erhöht werden; bisher waren 35 Euro vorgesehen. Die gesamten Einnahmen aus dem höheren CO2-Preis sollen zur Senkung der EEG-Umlage verwendet werden – und somit an die Bürger über günstigere Strompreise zurückfließen.

 

Klimathematik im US-Präsidentenwahlkampf

Auch im Ringen um die amerikanische Präsidentschaftskandidatur im nächsten Jahr nahm der Begriff „Green New Deal“ Fahrt auf: Im Februar starteten die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez und Senator Edward J. Markey eine heftige politische Debatte über konkrete Maßnahmen gegen den voranschreitenden Klimawandel. Zwei Drittel der Demokraten, darunter die Anwärter auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur Joe Biden, Elizabeth Warren und Bernie Sanders, befürworteten die Idee eines Green New Deals. Die Resolution von Ocasio-Cortez nannte bisher keinen konkreten Preis. Aber die Kongressabgeordnete machte Andeutungen von zehn Billionen US-Dollar über mehrere Jahre. Präsident Trump und andere konservative Abgeordnete sind sogar der Ansicht, es könne sich vielmehr um 100 Billionen Dollar handeln. Die demokratischen Präsidentschaftsbewerber veranschlagen für ihre Klimapläne deutlich geringere Beträge: Joe Biden bezifferte die Kosten seines Klimaschutzplans auf 1,7 Billionen Dollar. Elizabeth Warrens Vorschlag, über einen Green New Deal in Programme für saubere Energie zu investieren, würde 2 Billionen US-Dollar kosten. Hingegen will Bernie Sanders 16,3 Billionen Dollar ausgeben, um seine Version vom Green New Deal zu realisieren.

 

Minimalkompromiss nach UN-Klimakonferenz

Zur realen Umsetzung von klimapolitischen Zielen, scheint Wille allein nicht immer auszureichen. Das Ergebnis der jüngsten UN-Klimakonferenz in Madrid sorgte für Ernüchterung, insbesondere unter den europäischen Staaten. Selbst UN-Generalsekretär Antonio Guterres zeigte sich unzufrieden mit den Minimal-Beschlüssen der Konferenz, die am Sonntag nach langen, harten Debatten beendet wurde. Speziell Staaten wie die USA und Brasilien scheinen die Verhandlungen gelähmt zu haben.

 

Geld- und Klimapolitik via EZB

Ein wirklicher Wegbereiter für den klimapolitischen Umschwung könnte dagegen die Europäische Zentralbank (EZB) sein. Ihre neue Präsidentin, Christine Lagarde, drängt darauf, Überlegungen zum Klimawandel in die anstehende Strategieüberprüfung der Zentralbank einzubeziehen. Für diese Inspektion wurden bisher rein monetäre Fragen erwartet – beispielsweise, ob das Inflationsziel revidiert werden sollte. Mit ihrem unvergleichlichen Einfluss auf die Finanzmärkte, kann die EZB erheblich auf jene Investitionsentscheidungen einwirken, die den Verlauf des Klimawandels bestimmen. Manche Green-Finance Experten begrüßen den Schritt: Laut ihnen sollte die Geldpolitik der EZB explizit auf CO2-Emissionen ausgerichtet werden. Denn die bisherigen Regeln für den Kauf von Wertpapieren im Rahmen ihrer „QE-Programme“ beruhen auf traditionellen Ratings, bei denen Klimarisiken keine Rolle spielen. Somit würden die Finanzmärkte Klimarisiken falsch bewerten – geldpolitische Operationen reproduzieren dieses Marktversagen zusätzlich.

 

Umweltfreundliche Kredite als heikle Idee

Auch die EU-Kommission prüft weitere Möglichkeiten, privates Kapital in umweltfreundliche Investitionen zu lenken. Beispielsweise wird erwogen, die Eigenkapitalanforderungen für Banken zu lockern, wenn diese klimafreundliche Kredite vergeben. Dies führte jedoch bei den Bankenaufsichtsbehörden zu Bedenken. Sie befürchten, dass sich Banken, unter dem Vorwand umweltfreundlicher Anlagen, ein übermäßiges Risikoportfolio aneignen könnten.

 

EZB-Strategie im Klimafokus

Viele der obigen Fragen werden sicherlich die EZB-Strategieüberprüfung prägen. Kritiker erklärten bereits: Ein expliziter Fokus auf den Klimawandel liegt außerhalb des Mandats der Zentralbank. Christine Lagarde erhält hier allerdings fachkundige Unterstützung: In einer Vorlage vor dem Europäischen Parlament betont der Wirtschaftsprofessor des University College Dublin, Karl Whelan: „Das Mandat der Zentralbank ist viel weiter gefasst, als es oft verstanden wird.“ Solange Preisstabilität gewährleistet ist, sei die EZB vertraglich verpflichtet, die „allgemeine Wirtschaftspolitik“ der EU zu unterstützen. Dies könnte beispielsweise rechtfertigen, dass die Europäische Investitionsbank billige Kredite für groß angelegte umwelt- und klimabezogene Projekte gewährt. Bei einer Kerninflationsrate im November von 1,3 Prozent ist es jedoch fraglich, ob hier Preisstabilität im Sinne der EZB besteht. Denn ihr Ziel liegt bekanntlich unter, aber nahe 2%.