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Ein möglicher Staatsbankrott Russlands – Ursachen und Folgen für die Finanzstabilität

Aufgrund des Einmarschs in die Ukraine wurde Russland innerhalb kurzer Zeit international isoliert, da es unter schnell verhängte und weitreichende Sanktionen gestellt wurde. Die russische Wirtschaft und der Finanzsektor wurden dabei bereits hart getroffen. Innerhalb weniger Tage kam es zu erheblichen Kapitalabflüssen, einer starken Währungsabwertung und zu explodierenden Preisen. Infolgedessen könnte die russische Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2022 um etwa 10% auf Quartalssicht zurückgehen und im zweiten Quartal um weitere 20% einbrechen. Jedoch ist der Einbruch der russischen Wirtschaft derzeit nicht das einzige ökonomische Problem des Landes.


Seit einigen Tagen droht nämlich ein Staatsbankrott, der Investoren Milliarden kosten und Russland faktisch vom Finanzmarkt abschneiden könnte. Investoren in russische Staatsanleihen könnten in Folge dessen einen Zahlungsausfall erleiden angesichts der westlichen Sanktionen, die einen großen Teil der russischen Devisenreserven faktisch wertlos machten. Außerdem sind viele russische Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen, was internationale Überweisungen erschwert. Die Frage ist aber nicht nur, ob Russland wirklich zahlen könnte (wie es normalerweise bei Staatspleiten der Fall wäre), sondern auch, ob überhaupt der politische Wille besteht, die Zahlungen zu leisten. Die Regierung könnte nämlich in Frage stellen, weshalb es überhaupt noch Zahlungen leisten soll, wenn es in absehbarer Zukunft keine Zahlungen mehr vom Westen erwarten kann.


Konkret wurde dieses Szenario in der letzten Woche, als der Finanzmarkt darauf wartete, ob Russland Zinszahlungen auf zwei Staatsanleihen in Höhe von insgesamt 117 Mio. US-Dollar leisten würde. Das Besondere an dieser Zahlung war die Tatsache, dass die Zahlung laut Vertrag zwingend in US-Dollar geleistet werden musste. Eine Überweisung in Rubel wäre von einigen Ratingagenturen bereits als Zahlungsausfall gewertet worden. Russland musste also auf seine verbliebenen Devisen zurückgreifen und sie rechtzeitig an die betreffenden Banken überweisen. Im Vorfeld hatte die russische Regierung noch gedroht, dass alle Schulden bedient werden, allerdings nur in Rubel.


Für den Fall, dass Zahlungen nicht geleistet würden, gäbe es noch eine 30-tägige Verzugsfrist. Wenn innerhalb dieses Zeitraums die Zahlung nachgeholt wird, gilt die Leistung nämlich noch als erfüllt und die Staatspleite wäre abgewendet. Das russische Finanzministerium teilte am Tag nach der Fälligkeit schließlich mit, dass die Zahlungen in Dollar angewiesen worden waren. Die ist auch tatsächlich geschehen: Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf Marktteilnehmer, dass zum Ende der Woche einige Besitzer von Anteilen russischer Dollaranleihen die fälligen Zinszahlungen tatsächlich erhalten haben. Auch waren die Zahlungen bei der US-Bank JP Morgan angekommen, die sie an die Citigroup weitergeleitet hat. Dazwischen musste die Großbank jedoch noch mit dem US-Finanzministerium klären, ob es die Zahlung überhaupt verarbeiten dürfte, weshalb es zu der kurzfristigen Verzögerung gekommen war.


Insbesondere aufgrund der vielen Sanktionen gestalten sich derzeit russische Zahlungen auf fällige Anleihen sehr komplex. Wie das Beispiel von letzter Woche zeigt, versuchen die betroffenen Banken sich abzusichern, um etwaige Sanktionen nicht zu verletzen. Nach der Zahlung in der letzten Woche, sieht es aber derzeit so aus, als hätte man einen Weg gefunden, die Gelder bei den Investoren ankommen zu lassen.


Eine Nichtzahlung bzw. die Überweisung in russischen Rubel würde den Countdown für eine Welle von Zahlungsausfällen für insgesamt fast 150 Mrd. Dollar russischer Fremdwährungsschulden in Gang setzen. Da ein Großteil der russischen Anleihen noch vor wenigen Wochen den “Investment Grade” Status hatte, befinden sich viele Wertpapiere in den globalen Rentenportfolios und Benchmarks. Die Auswirkungen dürften daher zahllose Pensionsfonds, Stiftungen und Fonds erfassen.


Ein Default würde in dem Fall der am stärksten spürbare Zahlungsausfall in einem Schwellenland seit dem Bankrott Russlands im Jahr 1998 sein. Etwa 120 Mrd. US-Dollar der derzeit ausstehenden Fremdwährungsschulden lauten auf US-Dollar, der Rest auf Euro. Der letzte russische Zahlungsausfall im Jahr 1998 betraf jedoch nur die Inlandsverschuldung, nicht die Auslandschulden. Ein Zahlungsausfall in Fremdwährung wäre somit der erste in Russland seit der Oktoberrevolution von 1917. Besonders schwer wiegt auch die Geschwindigkeit eines möglichen Ausfalls. Wenn ein Zahlungsausfall sich langsam ankündigt, lassen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen nämlich verringern und die Verluste begrenzen. Das Problem im aktuellen Fall ist jedoch, dass es sich um einen sehr plötzlichen Schock handelt, der alle Marktteilnehmer relativ unvorbereitet trifft.


Die Finanzmärkte reagierten in den letzten Wochen daher stark auf die Aussicht auf einen Zahlungsausfall. Der Kapitalmarkt sah zwischenzeitlich die Chance bei 70%, dass Russland in diesem Jahr eine Zahlung verpasst. Zudem standen die Preise für Staatsanleihen vorübergehend bei weniger als 20 Cent je Dollar, ein weiteres deutliches Zeichen dafür, dass ein Zahlungsausfall erwartet wurde. Als Reaktion auf den Zahlungseingang haben sich die Kurse für Staatsanleihen jedoch wieder etwas erholt. Sie stehen aber immer noch bei ungefähr der Hälfte ihres Nennwertes.


Final vom Tisch ist die Möglichkeit eines Zahlungsausfalls nach der Überweisung in der letzten Woche jedoch noch nicht. In den nächsten zehn Wochen werden Zinszahlungen in Höhe von mindestens 488 Mio. US-Dollar fällig, sowie eine Anleihe in Höhe von 2 Mrd. US-Dollar, die Russland im April zurückzahlen muss. Die Ratingagentur S&P hat daher sein Rating zum Ende der letzten Woche herabgestuft. Das Downgrade folgt laut der Agentur als Reaktion auf die gemeldeten Schwierigkeiten der russischen Regierung, die Schuldendienstzahlungen für ihre auf US-Dollar lautenden Staatsanleihen am Fälligkeitsdatum zu leisten. S&P geht davon aus, dass die Schuldendienstzahlungen auf russische Staatsanleihen, die in den nächsten Wochen fällig werden, ähnliche technische Schwierigkeiten haben könnten. Außerdem läuft eine Ausnahmeregelung, die derzeit im Rahmen der US-Sanktionen gewährt wird, am 25. Mai aus, was die rechtzeitige Schuldendienstzahlung nach diesem Datum weiter erschweren könnte.


Der Markt wird daher noch einige Zeit den Atem anhalten. Einige Anleger haben davor gewarnt, dass ein russischer Zahlungsausfall letztendlich zu einer globalen Staatsschuldenkrise führen könnte, wenn die Anleger anfangen, Risiken zu meiden und mehr Länder von den Finanzmärkten ausgeschlossen werden. Obwohl die Summe der Fremdwährungsschulden durchaus beträchtlich ist, sollte sie nach Ansicht der Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgieva, kein systemisches Problem für die Finanzmärkte sein. Laut ihrer Aussage ist das Engagement von Banken “nicht systemrelevant”.


Die weitere Entwicklung bleibt indes ungewiss. Jede einzelne Transaktion in den kommenden Wochen und Monaten wird ein Sonderfall sein, da unterschiedliche Banken und Investoren mit verschiedenen Zahlungsstrukturen betroffen sein werden. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass das gegenwärtige Sanktionsregime über die Zeit stabil bleiben wird. Mit Verschärfungen ist vielmehr zu rechnen. Sollte das verschärfte Sanktionsregime Russland am Ende doch in den Staatsbankrott treiben, wird sich zeigen, inwieweit die Finanzmärkte tatsächlich damit umgehen können.