Die Corona-Pandemie hat schon so manches sicher Geglaubtes ins Wanken gebracht. Die Widerstandsfähigkeit moderner Lieferketten scheint plötzlich nicht mehr garantiert, aber auch die Rückkehr hoher Inflationsraten bereitet den Zentralbanken Kopfschmerzen. Außerdem verläuft der Weg aus einer schweren Rezession normalerweise zäh, in den USA wird dennoch mit einem Wirtschaftswachstum von rund 6% in diesem Jahr gerechnet. Daher stellt sich die Frage, ob einige Volkswirtschaften nach der Pandemie vielleicht sogar besser dastehen werden als vor der Krise. In anderen Worten, ob es eine „Corona-Dividende“ gibt. Jedoch wird diese Hoffnung wahrscheinlich nicht auf alle Branchen und Länder zutreffen, da die jüngste Krise die bereits bestehenden Ungleichheiten innerhalb von Ländern, aber auch zwischen den Volkswirtschaften wohl weiter vertieft hat.
Historie: Selten zurück zum ursprünglichen Wachstumspfad
Bei der Untersuchung von 36 Rezessionen seit 1965 stellte der Nachrichtenlieferant Bloomberg Economics fest, dass Volkswirtschaften nach einem Abschwung in 90% der Fälle nie wieder zu ihrem Vorkrisen-Wachstumspfad zurückkehrten. Die durchschnittliche Einbuße betrug dabei 4,7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wobei tiefere Rezessionen in der Regel einen größeren langfristigen Schaden verursachten. Diese Historie würde normalerweise deshalb nichts Gutes verheißen: In der Corona-Krise hatten die wirtschaftlichen Einschnitte bis Mitte 2020 in vielen Ländern zu zweistellig prozentualen Produktionsrückgängen und zu einem historischen Rückgang des globalen BIP um 3,1% im Jahr 2020 geführt.
Besonderheiten der Corona-Krise
Bei der jüngsten Krise gab es jedoch einige Besonderheiten, die Anlass zur Hoffnung geben, dass der Ausgang positiver sein könnte: Insbesondere der Finanzsektor wurde aufgrund der Sondermaßnahmen der Geld- und Fiskalpolitik nicht in die Krise hineingezogen oder hat sie verschlimmert. Noch wichtiger ist, dass die Regierungen fast sofort eingriffen, um den durch die Schließungen entstandenen wirtschaftlichen Ausfall zu kompensieren. Im Falle der USA stiegen die Haushaltseinkommen im Jahr 2020 sogar an. Weltweit schätzt der Internationale Währungsfonds (IWF) den langfristigen Schaden auf etwa 3% des globalen BIP. Zum Vergleich: Die globale Finanzkrise von 2008-2009 hat ein viel größeres Loch von fast 10% des globalen BIP hinterlassen.
Eine Revolution der Arbeitswelt
Die Pandemie hat zeitgleich eine Revolution in der Arbeitswelt ausgelöst und den Einsatz von Technologie und Automatisierung in vielen Industrienationen stark beschleunigt. Auf dem Höhepunkt des anfänglichen Lockdowns in den USA wurden fast zwei Drittel der Wirtschaftsleistung von Menschen erwirtschaftet, die von zu Hause aus arbeiteten. Zudem verkauften die Einzelhändler innerhalb weniger Wochen fast genauso viel wie vor der Pandemie – aber ausschließlich online. Einige Experten sind der Meinung, dass dies die Möglichkeit bietet, mit einer höheren potenziellen Wachstumsrate aus der Krise herauszukommen. Das McKinsey Global Institute zum Beispiel rechnet damit, dass die schnellere Automatisierung und der Wandel der Arbeitspraktiken das Produktivitätswachstum in den USA und Westeuropa in den Jahren bis 2024 um etwa einen Prozentpunkt pro Jahr steigern könnte, was dem Doppelten des Durchschnitts vor der Krise entspricht.
Investitionen
Wenn die Produktion sinkt, schrauben die Unternehmen ihre Investitionen für gewöhnlich zurück. Nach Krisen holen sie die entgangenen Investitionen selten vollständig wieder auf, was bedeutet, dass sich die Wirtschaft auf einem dauerhaft niedrigeren Wachstumspfad befindet. Die Entwicklung der Investitionen in der Corona-Krise sieht aber anders aus. Die Unternehmensinvestitionen haben sich schneller erholt als bei jedem anderen Abschwung in den USA seit den 1960er Jahren- zweifellos zum Teil dank des sprunghaften Anstiegs der Automatisierung und einer Revolution der Arbeitsmethoden. Daten der Robotic Industries Association zeigen, dass die Ausgaben für Roboter im vierten Quartal 2020 in Nordamerika um 64 % höher waren als ein Jahr zuvor. Wenn die Unternehmensinvestitionen weiterhin auf einem höheren Wachstumspfad bleiben, könnte dies daher zu einer positiven Corona-Dividende führen. Hinzu kommt die Aussicht auf hohe staatliche Investitionen, finanziert beispielsweise durch den 750 Mrd. Euro schweren Wiederaufbaufonds der EU, die mittelfristig ein Impuls für ein höheres Potentialwachstum sein können.
Ungleichheit innerhalb der Volkswirtschaft
Laut einer wissenschaftlichen Studie können hochqualifizierte Beschäftigte im Dienstleistungssektor in den USA nun durchaus flexibler entscheiden, wo sie leben wollen, doch das wiederum gefährdet den Lebensunterhalt von gering qualifizierten Dienstleistungsbeschäftigten in Großstädten, die von der lokalen Nachfrage abhängig sind. Die ungleiche Verteilung von Gewinnen und Verlusten innerhalb der Länder könnte sich in einer Divergenz auf globaler Ebene widerspiegeln, wenn die Volkswirtschaften, die nicht gut aufgestellt sind, weiter hinter den Rest zurückfallen.
Ungleichheit zwischen den Ländern
Hinter den oben erwähnten 3% Schaden auf globaler Ebene verbergen sich daher große Unterschiede. In den USA haben die Schnelligkeit und das anhaltende Ausmaß der fiskalischen Unterstützung offenbar eine langfristige Beeinträchtigung des BIP verhindert. Jüngstes Beispiel für die fortgesetzte Unterstützung ist das 1,2 Bio. Dollar schwere Infrastrukturpaket, das Anfang November beschlossen wurde. Außerdem steht ein zweites Billionen-Paket in den Startlöchern, das auf Investitionen in Soziales und Klima abzielt. Bloomberg Economics geht davon aus, dass die US-Wirtschaft bis 2023 wieder auf ihre Trendlinie von 2010-19 zurückkehren wird. Auch für die Schwellenländer schätzt der IWF, dass die langfristigen Kosten im Durchschnitt etwa 3% des BIP ausmachen werden. Anders sieht es jedoch für die Länder mit niedrigem Einkommen aus, die kaum Zugang zu Impfstoffen oder wenige fiskalischen Kapazitäten zur Unterstützung der Wirtschaft hatten. Hier könnte die jüngste Krise langfristig mehr Schaden anrichten als die Rezession von 2008-2009.
Politik gefordert
Die Pandemie wird der Weltwirtschaft wohl weniger dauerhaften Schaden zufügen als ursprünglich befürchtet. Durch neue Arbeitsweisen könnten Produktivität und Innovation durchaus angekurbelt worden sein. Jedoch könnte gleichzeitig die Ungleichheit in Bezug auf Wohlstand und Einkommen noch weiter zugenommen haben. Hier ist es wichtig, mögliche Corona-Verlierer zu identifizieren, um sie in der „neuen Normalität“ zu unterstützen. Wenn man sich die eher holprigen Entscheidungen ansieht, die wir in letzter Zeit in Bezug auf die Corona-Krise erlebt haben, ist es fraglich, dass die Regierungen wissen, wie sie dem entgegentreten wollen.