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Geldpolitik und Ungleichheit

In den vergangenen Jahren rückte das Thema Ungleichheit zunehmend in den Fokus. Eine aktuelle Untersuchung der Europäischen Zentralbank (EZB) zeigt: Seit den 1980er Jahren sind Einkommen und Vermögen in vielen Industrieländern immer ungleicher verteilt. Auf die damit verbundenen Probleme hat bereits der französische Ökonom Thomas Piketty hingewiesen. In seinem 2013 erschienenen Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ warnt er vor der Gefahr extremer Ungleichheit, die sozialen Frieden und demokratische Werte zu unterminieren droht. Wie Piketty schreibt, sind solche ökonomischen Trends allerdings nicht „gottgegeben“, sondern können von der Politik verändert werden.

 

Umverteilung vs. Ungleichheit?

Dies geschieht bereits – beispielsweise im Rahmen von Einkommensbesteuerung und staatlichen Leistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe und Kindergeld. Das Ausmaß dieser Umverteilung ist in Europa deutlich ausgeprägter als in den USA. Es könnte erklären, warum dort größere Ungleichheit vorherrscht als hierzulande. Genau dieses Problem will US Präsident Joe Biden mit seinem Plan für amerikanische Familien angehen. Dessen Kosten von evtl. fast 2 Billionen Dollar sollen mit höheren Steuern für Wohlhabende finanziert werden. Wenig überraschend warnten hierbei die Republikaner vor negativen Konsequenzen für Investitionen, Wachstum und Beschäftigung. Dies zeigt, dass höhere Steuern allein kein Allheilmittel gegen Ungleichheit sind (auch wenn man darüber streiten kann, ob eine stärkere Besteuerung der reichsten 0,32% Amerikaner tatsächlich sehr schädlich für das Wirtschaftswachstum ist). Neben der Besteuerung spielen auch andere Faktoren eine wichtige Rolle: Globalisierung, technischer Fortschritt, Bildungspolitik oder die Regulierung des Wettbewerbs. Welchen Beitrag leistet dabei die Geldpolitik?

 

Notenbanken: Einfluss eines Eingriffs

Traditionell ist es die Aufgabe einer Notenbank, mit ihren geldpolitischen Mitteln für niedrige Inflation und geringe Arbeitslosigkeit zu sorgen. Im konjunkturellen Abschwung lockert sie ihre Geldpolitik. So kann sie dazu beitragen, dass wirtschaftlicher Rückgang und Anstieg der Arbeitslosenrate kleiner ausfallen als ohne ihr Eingreifen. Gleichzeitig verringert die Notenbank damit das Risiko des Abgleitens der Volkswirtschaft in eine Deflation. Umgekehrt verschärft sie ihre Politik, wenn sich die Wirtschaft überhitzt. Dies dämpft Konjunktur und folglich Inflation, allerdings nimmt die Notenbank gleichzeitig eine etwas höhere Arbeitslosenrate in Kauf. Ungleichheit allein ist also keine unmittelbare Zielgröße der Geldpolitik, jedoch beeinflusst sie diese indirekt. Denn Haushalte haben sowohl Lohneinkommen als auch Vermögen. Lockert die Notenbank die Geldpolitik, indem sie die Zinsen senkt, verringert sie für den Einzelnen das Risiko, arbeitslos zu werden (und statt einem Lohn das meist geringere Arbeitslosengeld zu bekommen). Hingegen leidet eventuell das Vermögen, wenn Ersparnisse nur zu einem niedrigeren Zins angelegt werden können. Haushalte mit geringerem Einkommen haben tendenziell weniger Vermögen und häufiger unsichere Beschäftigungsverhältnisse. Oft fällt es ihnen auch schwerer, Kredite aufzunehmen, um damit Einkommensschwankungen auszugleichen. Sie profitieren daher stärker von einer lockeren Geldpolitik als vermögende Haushalte mit höheren Einkommen. So betrachtet kann die Geldpolitik dabei helfen, die durch den Konjunkturzyklus bedingte Veränderung der Einkommensungleichheit zu mildern.

 

Geldpolitik und Vermögensungleichheit

Wie aber steht es um die Vermögensungleichheit? Wenn der Besitz nur aus Bargeld und zinslosen Sparbüchern besteht, leidet er unter einer lockeren Geldpolitik. Sofern aber auch Aktien und andere risikoreiche Anlagen Teil des Vermögens sind, haben niedrige Zinsen auch eine positive Wirkung auf den Besitzstand. Insofern ist ein pauschales Urteil kaum möglich, vielmehr ist die Zusammensetzung des Vermögens entscheidend. Zudem sind vermögendere Haushalte oft auch Kreditnehmer. Selbst wenn ihre Vermögenslage unter niedrigen Zinsen leiden würde, profitieren sie als Schuldner von günstigen Finanzierungsbedingungen. Die Auswirkung der Geldpolitik auf die Vermögensungleichheit ist damit eine empirische Frage. Eine Reihe von Studien kommt zu dem Schluss, dass die Effekte eher klein bzw. nicht eindeutig sind. Allerdings bestätigen sie meist eine tendenziell positive Wirkung auf die Einkommensungleichheit.
Aktuelle EZB-Studie

Zu einem ähnlichen Schluss kommt die EZB in einer aktuellen Untersuchung. Hier zeigt sie, dass ihr Wertpapierkaufprogramm (vor der Pandemie) zum Rückgang der Arbeitslosenrate im Euroraum beitrug. Besonders stark war die Wirkung in der niedrigsten Einkommensgruppe. Dort betrug der Rückgang mehr als zwei Prozentpunkte – bei den übrigen Gruppen unter einem halben Prozentpunkt. Entsprechend positiv war die Wirkung auf das Haushaltseinkommen der Geringverdiener. Das durchschnittliche Einkommen der untersten Einkommensgruppe stieg um über 3%, während es sonst nur etwa 0,5% waren. Folglich verringerte die Notenbank damit die Einkommensungleichheit. Das Wertpapierkaufprogramm der EZB beeinflusste auch die Vermögenslage der Haushalte. Da Aktien überwiegend im Besitz finanzkräftiger Haushalte sind, führte deren Kursanstieg zu einer höheren Vermögensungleichheit. Immobilienbesitz ist im Euroraum hingegen relativ gleich verteilt und stellt fast 80% des durchschnittlichen Gesamtvermögens dar. Steigende Hauspreise, ebenfalls eine Folge des Wertpapierkaufprogramms, helfen daher nicht nur den Vermögenden. Insgesamt war der Effekt der Geldpolitik auf das Nettovermögen in etwa neutral.

 

Geldpolitik betrifft alle

In der öffentlichen Wahrnehmung werden die Geldpolitik der Notenbanken und besonders ihre Kaufprogramme dafür verantwortlich gemacht, gesellschaftliche Ungleichheit zu verstärken. Im Blick stehen dabei vor allem: von Notenbankseite mit verursachte Preissteigerungen bei Aktien und Immobilien. Diese werden als Umverteilung zugunsten der Wohlhabenden interpretiert, während Sparer durch die Nullzinspolitik „enteignet“ werden. Doch diese Kritik greift zu kurz, denn viele Sparer sind zudem Aktien- und Immobilienbesitzer. Sie haben nicht nur Vermögen, sondern auch Schulden. Dazu sind sie auch Arbeitnehmer oder Unternehmer, die von der Konjunkturlage abhängen. In diesen verschiedenen Rollen sind wir alle auf höchst unterschiedliche Weise von den Effekten der Geldpolitik betroffen. Der Gesamteffekt ist grundsätzlich unklar. Auch wenn sich viele Bürger wünschen, dass die Geldpolitik die Ungleichheit stärker berücksichtigt – EZB und andere Notenbanken sind gut beraten, sich auf ihre Kernaufgabe zu konzentrieren und für stabile Preise zu sorgen.

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