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Globale Lieferengpässe – woher kommen sie und wie könnte es weitergehen?

Lange Schlangen an den Zapfsäulen und leere Regale in den Supermärkten in Großbritannien. Eine Automobilindustrie, die die Produktion zurückfahren muss, weil essentielle Bauteile in den Fabriken fehlen. Inflationsraten in vielen Teilen der Welt, die man in dieser Höhe schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hat. Das alles sind Beispiele für die Auswirkungen der Lieferkettenengpässe, die die Welt seit einigen Monaten erlebt.

Die zahlreichen Berichte über längere Lieferzeiten und steigende Preise schlagen sich mittlerweile auch in den volkswirtschaftlichen Prognosen nieder: So senkte der Internationale Währungsfonds in seinem vielbeachteten World Economic Outlook im Oktober die Wachstumsprognose für Deutschland für dieses Jahr auf 3,1% von 3,6%. Gleichzeitig erhöhte er die Inflationsprognose für dieses Jahr auf 2,9% von 2,2%. Nicht zuletzt aufgrund dieser stärker werdenden realwirtschaftlichen Auswirkungen stellt sich zunehmend die Frage, warum es zu diesen Lieferengpässen kommt. Zudem könnte ein Verständnis dessen auch bei der Frage helfen, wie die zukünftige Entwicklung aussehen könnte.

 

Angebot und Nachfrage

Auf der einen Seite hat sich mit der Aufholjagd der Wirtschaft die weltweite Nachfrage seitens der Verbraucher schnell wieder erholt. Dies ist zum Teil auf die während der Pandemie angehäuften Ersparnisse, die sehr lockere Steuer- und Geldpolitik und die riesigen Konjunkturprogramme zurückzuführen. Ein Beispiel hierfür ist der 750 Mrd. Euro schwere Wiederaufbaufonds der EU und das 1.850 Mrd. Euro große Pandemie-Kaufprogramm der Europäischen Zentralbank.

Auf der anderen Seite hat das Angebot Mühe, mit der steigenden Nachfrage Schritt zu halten, was zu höheren Rohstoffpreisen führt. Daneben führt aber auch eine Vielzahl anderer Ursachen wie schlechte Wetterbedingungen, Unterbrechungen von Lieferketten durch lokale Pandemieausbrüche, OPEC-Beschlüsse, Naturkatastrophen und Arbeiterstreiks zu Preissteigerungen. Der aus dem Ungleichgewicht folgende Anstieg der Rohstoffpreise (der Preis für eine Tonne Aluminium erreichte beispielsweise vor einigen Tagen mit mehr als 3000 US-Dollar das höchste Niveau seit 13 Jahren) wirkt sich im nächsten Schritt dann auch auf den Preis und die Verfügbarkeit von Zwischenprodukten aus, was die Krise weiter verschärft.

 

Inflation

Die gestiegenen Inputkosten können die Unternehmen wiederum an die Verbraucher weitergeben, was, wie eingangs erwähnt, die Inflation anheizt. Hintergrund ist die stark gestiegene Nachfrage nach dem Ende vieler Beschränkungen, was Konsumenten höhere Preise akzeptieren lässt, nicht zuletzt aufgrund der angehäuften Ersparnisse der Haushalte. So steigt in letzter Zeit auch die Zuversicht bei den Unternehmen stark an, ihre Preise anheben zu können, bzw. der Anteil der Unternehmen, der Preiserhöhungen plant, nimmt stetig zu. Im Euroraum ist die Inflation mittlerweile mit 3,4% im September auf den höchsten Stand seit 13 Jahren gestiegen. Sind die Güter aber zu teuer geworden oder nicht verfügbar, kann es zu Produktionseinschränkungen oder sogar zur Einstellung der Produktion (wie z.B. im Automobilsektor) kommen. Laut einer Umfrage unter europäischen Herstellern ist der Mangel an Material und/oder Ausrüstung daher momentan das größte Produktionshindernis.

 

Lange Lieferketten

Laut einer OECD-Studie ist die Entfernung, die importierte Produkte zurücklegen, im letzten Jahr deutlich gestiegen. Dies ist zum Teil auf die zahlreichen Lockdowns in vielen Ländern zurückzuführen, die zu Umleitungen des Warenstroms geführt haben. So wandten sich viele Unternehmen an China und andere südostasiatische Länder wie Vietnam, um die Versorgungslücke zu schließen, die westliche bzw. näher gelegene Unternehmen hinterlassen hatten. Dieser Anstieg der Entfernungen hat infolgedessen zum Anstieg der Transportkosten beigetragen. Darüber hinaus leidet die weltweite Schifffahrt weiterhin unter einem Mangel an Schiffen, Verspätungen und Staus in den Häfen als Folge der gestiegenen Nachfrage nach Warentransporten, was wiederum zu einem Mangel an Containern führt, sowie unter Problemen im Zusammenhang mit Covid-19 Ausbrüchen, die zu sporadischen Schließungen von Häfen führen. Diese Situation hat sich mit der Blockade des Suezkanals im März 2021 noch weiter verschärft wodurch die weltweiten Lieferketten weiter gestört wurden. Als Folge dessen habe sich die Frachtpreise zwischen Januar und September in diesem Jahr beinahe verachtfacht.

 

Geopolitische Einflüsse

Außerdem werden die globalen Lieferketten auch durch den geopolitischen Kontext stark beeinflusst. So kommt es immer wieder zu gegenseitigen Sanktionen zwischen Ländern, Quoten und anderen Handelshemmnissen, die den internationalen Warenstrom stören bzw. die Transportkosten erhöhen. Insbesondere die Technologie ist zu einem geopolitischen Thema geworden, wobei beispielsweise Halbleiter momentan ein Teil des Streits zwischen den USA, China und Taiwan darstellen. Zudem ist der Aufbau der Lieferketten manchmal nicht sehr nachvollziehbar was es erschwert, die verschiedenen Engpässe zu ermitteln und somit das Problem zu lösen. Dies ist z.B. bei Automobilen der Fall, für die mehr als dreißigtausend Einzelteile benötigt werden.

 

Ausblick

Kurzfristig werden die Unterbrechungen der Lieferketten wahrscheinlich auch noch im kommenden Jahr anhalten. Bei den Problemen mit den Containerschiffen etwa wird nicht mit einer schnellen Entspannung der Situation gerechnet. Die aktuellen Rückstaus dürften laut Experten noch bis ins erste Quartal 2022 reichen. Mit der allmählichen Anpassung der Wirtschaft an die neue Situation sollten die Unterbrechungen aber langsam abklingen. Jedoch wurde diese Annahme bereits mehrere Male getätigt und die wirtschaftlichen Akteure wurden im Anschluss erneut von der Hartnäckigkeit der Lieferengpässe überrascht. Daher könnten sich die Störungen auch noch länger als momentan prognostiziert hinziehen.

Mittelfristig und langfristig könnte die aktuelle Situation die Unternehmen dazu bringen, sich neu zu positionieren. Das derzeitige Just-in-Time-Lieferkettenmodell mit einer Vielzahl von Lieferanten in unterschiedlichen Ländern scheint in der derzeitigen Situation an ihre Grenzen gelangt zu sein. Die Frage des Rückholens der Produktion („Reshoring“) könnte daher an Relevanz gewinnen. Schnell wird dies jedoch nicht umzusetzen sein, da das Umstellen der Lieferketten Einiges an Organisationsarbeit benötigt. Außerdem werden Handelsbeschränkungen wohl nicht so schnell verschwinden. Dies dürfte zusätzlich zur Entwicklung regionaler Produktionskapazitäten führen, insbesondere in den Bereichen Technologie (wie das Beispiel Halbleiter zeigt) und lebenswichtige Medikamente (wie die aktuelle Gesundheitskrise zeigt). Schließlich könnte der Übergang zu regionalen Versorgungsketten und die Entwicklung regionaler Produktionskapazitäten mit neuen Investitionen in Technologie (z.B. künstliche Intelligenz) und Automatisierung einhergehen. Ganze Branchen könnten sich so umstrukturieren.

 

Mögliche Chance?

Da die Ursachen für die aktuellen globalen Lieferengpässe vielfältig und komplex sind, werden sie wahrscheinlich zunächst ein Begleiter des weiteren wirtschaftlichen Aufschwungs bleiben. Auch wenn die Störungen kurzfristig vor allem negative Auswirkungen wie Produktionseinschränkungen und höhere Preissteigerungsraten haben, könnten sie mittel-und langfristig durchaus zu neuen Strukturen in der Wirtschaft führen und unter Umständen zu einem Innovationsschub beim Neu-Aufbau der Produktionsketten führen. In diesem Fall hätte diese Thematik eine weitere Verbindung zur Corona-Pandemie, welche trotz vielfältiger negativer Auswirkungen schließlich auch zu einem Digitalisierungsschub, vor allem in der Kommunikation, geführt hat.