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KW 05/23 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Die vergangenen Tage haben ein Fragezeichen auf manche volkswirtschaftliche „Gewissheiten“ geworfen. So rechnet eine zunehmende Zahl an Volkswirten damit, dass die Teuerungswelle dieses Jahr abebbt, dass Europa einer Winterrezession knapp entkommen wird und dass der Höhepunkt bei den Leitzinsen schon bald erreicht ist. Gelten diese Gewissheiten auch weiterhin?

Beginnen wir mit der Inflation. In Deutschland stiegen die Preise im Oktober noch um 10,4%. Dies war der stärkste Anstieg der vergangenen 70 Jahre. Seitdem ging es steil bergab mit der Teuerung. Am Jahresende betrug die Inflation „nur“ noch 8,6%. Ähnlich das Bild im Euroraum. Hier verlangsamte sich der Preisanstieg im gleichen Zeitraum von rekordhohen 10,7% auf 9,2%.

Ein Grund für das Abschmelzen der Inflation sind die niedrigeren Energiepreise. Aber auch staatliche Maßnahmen, um die Bürger und die Unternehmen vor dem Preisshock zu schützen, haben die Teuerung gedämpft. Einige dieser Maßnahmen sind ausgelaufen, oder wurden durch gezieltere Eingriffe ersetzt um nur noch denjenigen zu helfen, die tatsächlich die Hilfe von Vater Staat benötigen. Das spart zwar Steuergelder, andererseits gibt dieser Politikwechsel der Inflation einen erneuten Schub.

Beobachten konnte man diesen Effekt bereits bei unseren europäischen Nachbarn. In Frankreich erhöhte sich die EU-harmonisierte Inflation von 6,7% im Dezember auf 7,0% im Januar. In Spanien stiegen die Preise unerwartet von 5,5% Ende 2022 auf 5,8% zu Jahresbeginn. Damit wurden die von Bloomberg im Vorfeld befragten Analysten auf dem falschen Fuß erwischt. Denn diese hatten mit einem deutlichen Rückgang der spanischen Inflation auf 4,8% gerechnet. Ob es in Deutschland zu einer ähnlichen unschönen Überraschung kommt, ist noch ungewiss. Die Analysten rechnen zumindest mit einem Anstieg der Inflation von zuvor 8,6% auf 9,2% im Januar.

Bedeuten diese jüngsten Zahlen, dass eine neue Teuerungswelle auf uns zurollt? Die Notenbanken selbst rechnen nicht damit. Im Gegenteil, ob amerikanische Fed, die Bank of England oder die Europäische Zentralbank. Sie alle erwarten, dass die Inflation in den kommenden Monaten allmählich an Kraft verliert. Begründet wird dies mit der Auflösung von Lieferengpässen, niedrigeren Energiepreisen und einer sich abschwächenden Nachfrage. So rechnet etwa die EZB damit, dass sich die Inflation von 10,0% im vierten Quartal 2022 auf 3,6% in den letzten drei Monaten dieses Jahres abschwächen wird.

Die weitere Entwicklung in China nach dem Ende der Null-Covid Strategie wird auf die drei genannten Inflationstreiber erheblichen Einfluss nehmen. Ein Ende der wiederkehrenden Lockdown Maßnahmen könnte dazu beitragen, dass sich die weltweiten Lieferengpässe schneller auflösen. Nach Maßgabe des von der Fed in New York berechneten Index waren die Lieferketten im Dezember immer noch etwas angespannter als es dem historischen Durchschnitt entsprechen würde.
Andererseits rechnen die Analysten damit, dass das chinesische Wachstum in diesem Jahr deutlich an Fahrt aufnehmen wird. Das könnte sowohl Druck auf die Energiepreise ausüben, als auch der Weltwirtschaft unter die Arme greifen. Letzteres gilt insbesondere für Länder wie Deutschland, die von einem starken Export im besonderen Maße profitieren.

In Summe könnte China zwar dafür sorgen, dass die Inflation hierzulande nicht ganz so schnell abschmilzt wie sich das die Notenbanken erhoffen. Andererseits sollte es uns die Angst vor einer Rezession in 2023 nehmen. Diese Sorge wurde durch die jüngsten Konjunkturdaten womöglich wieder angeheizt. Nachdem das statistische Bundesamt zunächst ein Nullwachstum im vierten Quartal 2022 angedeutet hatte, korrigierte es nun diese Einschätzung. Nach vorläufigen Zahlen ist die deutsche Wirtschaft im vergangenen Quartal um 0,2% geschrumpft. Dies liegt unter anderem daran, dass das Vorquartal sich etwas stärker entwickelt hatte als zunächst angenommen. Aber dass die hohen Preise der Wirtschaft zuletzt tatsächlich zugesetzt haben, verrät ein Blick auf die Einzelhandelsumsätze. Diese sind nach erster Schätzung im Dezember um 6,6% im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen.

Wenn die Wirtschaft in diesem Jahr im ersten Quartal erneut schrumpfen würde, wäre im Prinzip das Kriterium einer Rezession erfüllt. Tatsächlich wäre es aber wohl nur eine kleine Delle, bevor es wieder aufwärtsgeht. Dafür spricht zum einen die nach wie vor solide Entwicklung am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenrate blieb im Januar in Deutschland bei 5,5%, die Zahl der Arbeitslosen sank saisonbereinigt unerwartet um 22.000. Ein wirtschaftlicher Abschwung sieht anders aus. Hinzu kommt die jüngste Verbesserung bei den Frühindikatoren, angefangen beim Ifo Geschäftsklima, dem Konsumentenvertrauen und den Einkaufsmanagerindizes. Sie alle sprechen dafür, dass es spätestens im zweiten Quartal mit neuem Schwung aufwärtsgeht, wohlmöglich unterstützt mit frischer Nachfrage aus China für Güter „made in Germany“.

Aus Sicht der Notenbanken bedeutet dies, dass der Kampf gegen die Inflation noch nicht gewonnen ist. Das dürfte in den kommenden Tagen das beherrschende Thema sein, wenn EZB, Fed und Bank of England ihre geldpolitischen Entscheidungen verkünden. Die Märkte werden auf eine Bestätigung hoffen, dass das Ende der geldpolitischen Verschärfung näher rückt, so wie es die kanadische Notenbank erst kürzlich vorexerziert hat. Aber angesichts der genannten Unwägbarkeiten dürfte es im Februar für eine solch frohe Botschaft noch zu früh sein.