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10/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Die Interpretation von Konjunkturdaten gleicht gelegentlich dem Blick in den Rückspiegel. Es sagt manchmal wenig darüber aus, was vor einem liegt. Insbesondere dann nicht, wenn sich das volkswirtschaftliche Umfeld so sehr verändert wie in diesen Tagen. Dies gilt auch für einen Teil der in der vergangenen Woche berichteten und zum Teil recht erfreulichen Konjunkturmeldungen.

So konnte etwa der Arbeitsmarkt seine Erholung zu Jahresbeginn fortsetzen. Im Euroraum sank die Arbeitslosenrate im Januar von zuvor 7,0% auf ein neues historisches Tief von 6,8%. In Deutschland sank im Februar die Zahl der Arbeitslosen stärker als erwartet, die Arbeitslosenrate fiel weiter von 5,1% auf 5,0%. Vor wenigen Monaten noch hatte die Bundesarbeitsagentur einen Anstieg der Arbeitslosigkeit befürchtet, vor dem Hintergrund der Omikron Welle und vermehrter Nachfrage nach Kurzarbeit. Auch in Amerika wurden im Februar deutlich mehr Stellen geschaffen als Analysten vorhergesagt hatten. Die Arbeitslosenrate fiel von 4,0% auf 3,8%, was nahezu der Vollbeschäftigung entsprechen dürfte.

Die Industrie zeigt sich gleichfalls von ihrer starken Seite, ungeachtet der nach wie vor bestehenden weltweiten Lieferengpässe. In Deutschland legten die Auftragseingänge im Januar um fast 2% im Vergleich zum Vormonat zu. Die Industrieproduktion gewann im gleichen Monat nahezu 3%, während der Vormonat von -0,3% auf 1,1% nach oben korrigiert wurde. Das gleiche Bild zeigt die Industrie in den USA. Dort konnten die Auftragsbücher im Januar mit 1,4% doppelt so viel wie erwartet zulegen, und wie in Deutschland wurde aus dem für Dezember berichteten Minus von -0,4% ein Plus von 0,7%.
Doch leider lassen sich diese Tendenzen nicht fortschreiben. 

Der Konflikt in der Ukraine wird dazu beitragen, dass Lieferengpässe eher zu- als abnehmen werden. Denn Russland, Belarus und die Ukraine sind für viele wichtige Rohstoffe ein zentraler Anbieter. So meldete beispielsweise der Verband der deutschen Autobauer (VDA), dass die Ukraine ein wichtiger Lieferant von Kabelbäumen ist. Derartige Engpässe, ausgelöst durch Russlands Invasion, dürften die Fahrzeugproduktion in Deutschland weiter stören, befürchtet die Verbandschefin. Auch Lieferketten von und nach China geraten unter Druck, weil auch Landwege durch das Krisengebiet führen und Transporte immer schwieriger werden. Für die Industrie bedeutet dies, dass das erhoffte Ende der Lieferengpässe immer weiter in die Zukunft rückt. Auch die Wirtschaft insgesamt leidet, nicht nur unter Engpässen, sondern insbesondere aufgrund der stark gestiegenen Preise für Gas und Öl. Auch die Preise von in der Industrie dringend benötigten Rohstoffen wie Neon, Palladium und Nickel sind in die Höhe geschossen.

 

All das veranlasst Analysten bei ihren Wachstumsprognosen den Rotstift anzusetzen. Schon jetzt werden Einbußen von etwa einem Prozentpunkt befürchtet. Sollten Gaslieferungen aus Russland ausbleiben, sei es, weil das Land die Lieferung drosselt oder aufgrund von neuen Sanktionen, könnte der Schock deutlich größer ausfallen. Die EZB hat erst kürzlich vorgerechnet, dass eine Kürzung der Gasimporte um 10% rund 0,7 Prozentpunkte Wachstum im Euroraum kosten könnte. Dass sich die Arbeitsmarkterholung unter diesen Vorzeichen fortsetzt, wäre dann zunehmend unwahrscheinlich. Noch ist es nicht so weit. Anders als die USA, ist Europa noch nicht bereit auf russisches Gas und Öl zu verzichten. Doch je nach weiterer Entwicklung in der Krisenregion könnte sich diese Einstellung ändern.


Der jetzt schon hohe Ölpreis und weiter zunehmende Lieferengpässe dürften die Inflation weiter anheizen. Die letzte Woche berichteten Werte für den Monat Februar von 5,1% in Deutschland und 5,8% in der Eurozone werden wohl nicht die letzten Rekordstände in diesem Jahr sein. Für das Gesamtjahr rechnet die Bundesbank mit einer Inflationsrate von durchschnittlich 5% in 2022.

 

Für Notenbanken ist die Mischung aus weiter steigender Inflation und Wachstumseinbußen ein unschönes Dilemma. In den USA wird die Fed am 16. März die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte anheben. So viel hat Notenbankchef Jerome Powell bei einer Anhörung vor dem Kongress bereits durchblicken lassen. Wie und wie schnell es dann weitergeht, wird vom weiteren Verlauf der Ukraine-Krise abhängen. Da im Vergleich zu Europa die USA wirtschaftlich weniger stark leiden, wird die Fed an ihrer geplanten Serie von Zinsschritten festhalten. Die Marktteilnehmer haben seit Beginn der russischen Invasion ihre Zinserwartungen kaum verändert und rechnen weiterhin mit insgesamt sechs Zinsschritten in 2022. Am Jahresende könnte der Leitzins sich in einer Bandbreite von 1,50% bis 1,75% bewegen.


Wie die EZB am 10. März mit dem Dilemma umgeht, ist dagegen höchst ungewiss. Die Marktteilnehmer spekulieren mehrheitlich darauf, dass die Notenbank sich mehr Zeit nehmen und die weitere Entwicklung abwarten wird. Das neue Ökonomenpanel des Münchner Ifo-Instituts und der F.A.Z. sieht dies anders. Drei Viertel der insgesamt 145 deutschen Wirtschaftsprofessoren sieht die EZB in der Pflicht. Sie sprechen sich für sofortige Maßnahmen aus, um die hohe Inflation zu bekämpfen. Dass Christine Lagarde bereits in diesem Monat den Ruf erhört, ist aber recht unwahrscheinlich. Vielleicht bekommen die Professoren zumindest einen Hinweis darauf, wie es mit der sehr lockeren Geldpolitik weitergeht.