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KW 11/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Die Unsicherheit an den Märkten, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, setzt sich weiterhin fort. Abzulesen ist das beispielsweise an den globalen Aktienmärkten, die eine weitere volatile Woche hinter sich haben. US-Aktien erlebten dabei die größten Schwankungen zwischen Gewinnen und Verlusten seit 2020 und beendeten die vergangene Woche mit der schlechtesten wöchentlichen Performance seit fast zwei Monaten. Europäische Aktien hingegen verzeichneten am vergangenen Mittwoch die größte Aufholjagd seit dem Tiefpunkt der Pandemie im März 2020. Hintergrund waren Spekulationen seitens Investoren, dass die zweiwöchige Verkaufsphase an den Börsen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Ukraine-Krise bereits widerspiegelt.
Auch die EZB regierte bei ihrer Sitzung am 10. März auf die jüngsten Entwicklungen und verschaffte sich angesichts der Unsicherheit etwas mehr Handlungsfreiheit für die Zukunft. Die Zentralbank ließ dabei verlauten, dass sie das Volumen ihres Anleihenkaufprogramms APP nach einer vorübergehenden Aufstockung bereits Ende Juni wieder auf 20 Mrd. Euro pro Monat reduzieren wird. Ursprünglich sollte diese Summe erst ab Oktober erreicht werden. Im dritten Quartal 2022 könnte das Programm damit vollständig beendet werden. Ab diesem Zeitpunkt wären dann laut EZB-Strategie auch Zinserhöhungen wieder möglich. Eine Zinserhöhung könnte demnach „einige Zeit“ nach dem Auslaufen der Anleihekäufe im dritten Quartal erfolgen, sagte dazu EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Das könne eine Woche oder auch einige Monate danach bedeuten. Ausschlaggebend für die Bestimmung des Zeitpunkts der ersten Erhöhung wird sein, was mit dem Krieg in der Ukraine passiert und welche Auswirkungen dies auf die Energiepreise hat.
Hintergrund für die abwartende Haltung und die Erweiterung der Handlungsoptionen ist die berechtigte Befürchtung von steigenden Preisen sowie gleichzeitig gedämpften Wachstumsaussichten, welche die Zentralbank abzuwägen hat. Einerseits warnte die EZB davor, dass die Inflation in der Eurozone weiter zunehmen wird. Im Februar hatte die Teuerungsrate in Deutschland bei 5,1% und im Euroraum bei 5,8% im Vergleich zum Vorjahresmonat gelegen. Die Notenbank hat nun ihre Inflationsprognose für den Euroraum im Gesamtjahr 2022 auf 5,1% angehoben. Zuvor war die EZB noch von einer Teuerung von 3,2% ausgegangen. In 2023 soll die Inflation nun bei 2,1% (bisher 1,8%) liegen.
Andererseits haben sich die Aussichten für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr wegen des Krieges in der Ukraine eingetrübt. Die EZB hat ihre Prognose für 2022 um 0,5 Prozentpunkte auf 3,7% gesenkt, was hauptsächlich auf die Auswirkungen der Ukraine-Krise auf Energiepreise, Verbraucherstimmung und Handel zurückzuführen ist. Für Deutschland erwartet der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratscher, dass die Wirtschaft sogar erneut in eine Rezession abgleiten könnte. Ein Indiz dafür könnte die jüngst veröffentlichte ZEW Umfrage sein. Belastet durch den Krieg in der Ukraine sind die Konjunkturerwartungen deutscher Finanzexperten nämlich so stark eingebrochen wie noch nie. „Eine Rezession wird immer wahrscheinlicher“, kommentierte dazu ZEW-Präsident Achim Wambach. „Der Ukrainekrieg und die Sanktionen gegen Russland verschlechtern den wirtschaftlichen Ausblick für Deutschland ganz erheblich.“
In einem extremen Szenario der EZB könnte die Inflation in der Eurozone in diesem Jahr sogar 7,1% erreichen. Die Annahmen für dieses Extremszenario gehen von strengeren Sanktionen gegen Russland aus, die zu Störungen in den globalen Wertschöpfungsketten führen, sowie von höheren Energiepreisen aufgrund harter Angebotseinschränkungen, einer stärkeren Neubewertung auf den Finanzmärkten und größeren Zweitrundeneffekten. Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone würde laut diesen Simulationen weiter auf 2,3% reduziert.
Auch in den USA sind die Verbraucherpreise im Februar ebenfalls sehr stark um 7,9% gestiegen, nach 7,5% im Vormonat. Die seitdem steigenden Energiepreise, höhere Lebensmittel- und Rohstoffpreise, die erneute Verschärfung von Lieferengpässen aufgrund der Ukraine-Krise sowie der zunehmende Preisdruck in allen Kategorien könnten dazu führen, dass die Inflation im Frühjahr bis auf 8,5% ansteigt. Die hohe Inflation und Nachrichten über die russische Invasion führten außerdem zu einem Rückgang der Verbraucherstimmung. Wenn die Stimmungsverschlechterung anhält, könnte dies durchaus Risiken für das Wachstum der Verbraucherausgaben in diesem Jahr mit sich bringen.
Die amerikanische Zentralbank Fed wird ihre Sitzung in dieser Woche am 15. und 16. März abhalten und ihre Zinsen vermutlich um 25 Basispunkte anheben. Dies bestätigte der Vorsitzende Jerome Powell vor dem US-Kongress Anfang dieses Monats bei einer Anhörung. Zuvor waren viele Marktteilnehmer sogar von einer Anhebung um 50 Basispunkte ausgegangen, was aber aufgrund der Unsicherheit verbunden mit der Ukraine-Krise unwahrscheinlicher wurde.
Während die Märkte nervös auf einzelne Nachrichten reagieren, bleiben selbst den Notenbanken nur Prognosen, die auf vielen Annahmen aufbauen, um die aktuelle Situation einschätzen zu können. Erste Stimmungsmeldungen aus der Wirtschaft, wie der ZEW-Indikator in der Eurozone und das Konsumentenvertrauen der University of Michigan in den USA, lassen nichts Gutes erahnen, können aber aktuell noch nicht das Ausmaß der Auswirkungen auf die Wirtschaft erfassen. Auch die Notenbanken warten daher ungeduldig auf „harte“ Zahlen aus der Wirtschaft für ihre nächsten Sitzungen, um die zukünftige Geldpolitik zu planen. Zentral wird hier sein, wie stark die Preise ansteigen werden und wie sehr die wirtschaftliche Entwicklung leiden wird. Denn auch für Zentralbanken gilt, dass Unsicherheit bzw. Angst bekanntlich ein schlechter Ratgeber sind.