Die Aktienmärkte haben sich in der letzten Woche weiter erholt. US- und europäische Anteilsscheine stiegen zum Teil kräftig, während die Investoren weiter die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine und die Schritte einiger Zentralbanken zur Straffung der Geldpolitik analysierten. Der breit angelegte US Benchmark-Index S&P 500 schloss auf dem höchsten Niveau seit etwa einem Monat und beendete die letzte Woche mit einem Plus von 4,5%. In Europa stieg der europaweite Stoxx 600 Index über die Woche sogar um 5,4% an.
Paradox an dieser Aufwärtsbewegung der Börsen ist die Tatsache, dass die amerikanische und die englische Notenbank jeweils ihre Geldpolitik straffte. Da eine Zinserhöhung zu einer höheren Attraktivität anderer Anlageklassen führt, reagieren die Aktienkurse darauf im Normalfall mit dem Rückwärtsgang. Sowohl die Fed als auch die Bank of England erhöhten in der vergangenen Woche ihren Leitzins um 25 Basispunkte. Die amerikanische Zentralbank Fed kündigte außerdem sechs weitere Zinserhöhungen im Jahr 2022 und vier im nächsten Jahr an, was bedeutet, dass die Notenbank der Inflationsbekämpfung Vorrang einräumt gegenüber Wachstumssorgen aufgrund des Krieges in der Ukraine. Wenn die Fed diesen Zinserhöhungspfad durchführt, würde der Leitzins 2,8% erreichen und damit einen restriktiven Bereich erreichen. Die Fed betrachtet nämlich ein Level von ungefähr 2,5% als langfristigen „neutralen“ Zinssatz. Der Chef der US-Notenbank, Jerome Powell, schürte zudem weitere Spekulationen auf eine schärfere Geldpolitik. Bei Bedarf könne die Fed zu aggressiveren Zinserhöhungen als üblich greifen, sagte er. „Der Arbeitsmarkt ist sehr stark und die Inflation ist viel zu hoch.“ Er könne sich, falls erforderlich, einen Schritt um 50 Basispunkte bei der nächsten Sitzung vorstellen.
Dass die Börsen dennoch erfreut auf diese Ankündigungen reagierten, hat mehrere Gründe. Einerseits interpretieren die Investoren den Zinsanstieg als positives Signal seitens der Zentralbanken, dass es wahrscheinlich zu keiner Rezession aufgrund des Kriegs in der Ukraine kommen wird. Zudem handelt es sich zunächst nur um einen kleinen Zinsschritt in Höhe von 0,25 Prozentpunkten. Vor der aktuellen Krise hatte man in den USA noch über einen Anstieg um 0,5 Prozentpunkte in diesem Monat spekuliert. Außerdem hat die Anhebung niemanden überrascht: Die amerikanische Notenbank hatte diesen Zinsschritt in ungewöhnlich klarer Form bereits im Vorfeld angekündigt. Daher ist die Anhebung des Leitzinses keine negative Überraschung, sondern ein erwarteter und aus Sicht vieler Experten längst überfälliger Schritt.
Indes sendet die US-Wirtschaft in der vergangenen Woche widersprüchliche Signale, was die aktuelle Unsicherheit unterstreicht. Laut regionalen Unternehmensumfragen schwächte sich die Produktionstätigkeit im Bundesstaat New York im März erheblich auf den niedrigsten Stand seit 2020 ab, da die Bestellungen zurückgingen. Im Gegensatz dazu beschleunigten sich die Aktivitäten in der Region Philadelphia aufgrund der starken Nachfrage auf ein Viermonatshoch, obwohl die Engpässe in den Lieferketten Anzeichen einer Verschlechterung anzeigten. Auf der Verbraucherseite beeinträchtigt die hohe Inflation jedoch die Kaufkraft, was die Konsumenten dazu veranlasst, ihre Ausgaben zu drosseln: Das Wachstum der Einzelhandelsumsätze verlangsamte sich im Februar auf 0,3% auf Monatssicht nach einem Anstieg von 4,9% einen Monat zuvor. Die Benzinausgaben legten dabei um 5,3% zu. Ohne diese Ausgaben gingen die Verkäufe im vergangenen Monat sogar um 0,2% zurück.
Auch in der Eurozone spielt die Inflation eine immer gewichtigere Rolle. Der endgültige Wert des Verbraucherpreiswachstums im Februar wurde um 0,1 Prozentpunkte auf 5,9% nach oben revidiert. Angesichts des Anstiegs der Energiepreise in diesem Monat dürfte dies jedoch noch nicht der Höhepunkt sein. Einen Vorgeschmack, was auf die Verbraucher zukommen könnte, gaben die Erzeugerpreise. Diese sind in Deutschland im Februar um rekordhohe 25,9% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Im Vergleich zum Vormonat nahmen die Preise um 1,4% zu. Die gestiegenen Energiepreise aufgrund der Ukraine-Krise sind dabei noch nicht enthalten. Wie sehr der Preisanstieg und die Verknappung wichtiger Rohstoffe das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen werden, ist weiterhin eine offene Frage.
Diese Fragestellung beschäftigt auch die Europäische Zentralbank. EZB-Ratsmitglied Pablo Hernandez De Cos warnte davor, dass die allmähliche Erholung Europas von der Pandemie durch den Ukraine-Konflikt negativ beeinflusst werde und dass die Wirtschaftspolitik entscheidend auf die Folgen reagieren müsse. Der Gouverneur französischen Zentralbank, Francois Villeroy De Galhau, sagte, er erwarte wegen des Krieges in der Ukraine jedoch keine Rezession.
Wichtig für den Wirtschaftsausblick und die weitere Geldpolitik wird sein, inwiefern sich die Inflation verfestigen kann und ob es zu einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale kommen wird, bei der die Löhne aufgrund der hohen Inflation ansteigen. Diese höheren Kosten würden die Firmen wiederum an die Verbraucher weitergeben, was somit zu weiteren Preisanstiegen führen könnte. Zumindest in Europa könnte die Sorge der Zentralbank über die Möglichkeit einer Lohn-Preis-Spirale unbegründet sein. Laut einer weltweiten Umfrage von YouGov gehören Arbeitnehmer in Europa zu denjenigen, die im nächsten Jahr am wenigsten Lohnerhöhungen anstreben. Weltweit gaben 35% an, dass sie eine Lohnerhöhung zwischen 2,1% und 5% fordern würden. Die Umfrage, die 18 Länder abdeckte und an der 20.000 Personen teilnahmen, ergab, dass nur jeder fünfte Arbeitnehmer in Spanien und jeder vierte in Deutschland plant, eine Gehaltserhöhung zu fordern. Im Vereinigten Königreich, wo die Zentralbank besonders besorgt über höhere Lohnabschlüsse ist, liegt der Wert bei 30%. In den USA liegt er bei 40%.
Noch zeigen sich die Märkte von den Zinserhöhungen einiger großer Zentralbanken unbeeindruckt und setzen ihre Erholung fort. Sollte sich jedoch der Preisanstieg weiter erhöhen oder sogar aufgrund einer Lohn-Preis-Spirale verfestigen, müssten die Notenbanken wohl stärker reagieren, um die Inflationserwartungen einzufangen und mittel- bis langfristig wieder für stabile Preise zu sorgen. Dabei besteht durchaus die Möglichkeit eines „Policy Errors“, bei dem die Notenbanken ihre Leitzinsen zu stark anheben und damit der Wirtschaft schaden. Spätestens in einem solchen Szenario wäre dann der Optimismus an den Börsen vorbei.