Die globalen Anleihemärkte haben in den letzten Tagen und Wochen den stärksten Rückgang seit mindestens 1990 erlebt. Hintergrund ist, dass sich die Anleger auf rasche Zinserhöhungen der Zentralbanken einstellen, die gegen die höchste Inflation seit Jahrzehnten kämpfen. Der Bloomberg Global Aggregate Index, eine breite Messgröße für Staats- und Unternehmensanleihen, ist seit dem Höchststand im Januar 2021 um mehr als 11% gefallen und hat damit den Rückgang von 10,8% während der Finanzkrise 2008 in den Schatten gestellt. Gleichzeitig sind US-Staatsanleihen dabei, einen ihrer schlimmsten Quartalsverluste seit mindestens den frühen 1970er Jahren zu verzeichnen. Da der Zins steigt, wenn der Preis der Anleihe fällt, kommt es daher aktuell zu einem steilen Anstieg der Anleihezinsen.
Der Fed-Vorsitzende Jerome Powell legte nun beim Ausblick sogar noch einmal nach und sagte, die US-Zentralbank sei bereit, ihre Zinssätze um 50 Basispunkte (statt der üblichen 25 Basispunkte) zu erhöhen, falls dies zur Eindämmung der höchsten Inflation seit vier Jahrzehnten erforderlich sei. Diese Aussage hat die Investoren veranlasst, ihre Wetten auf einen solchen Schritt bei der nächsten Sitzung am 3. und 4. Mai zu erhöhen. Eine Zinserhöhung birgt aber auch Gefahren. Falls die Leitzinsen nämlich zu schnell angehoben werden, könnte dies dem Aufschwung schaden. Die Aussicht auf eine Reihe von Zinserhöhungen könnte daher die Frage aufwerfen, ob die Zentralbank in der Lage sein wird, eine „weiche Landung“ der Wirtschaft herbeizuführen. Fed-Beobachter wie der ehemalige Finanzminister Lawrence Summer halten frühere, erfolgreiche Episoden (1994, 1984, 1969) für weniger relevant für die heutige Zeit, da die Fed – anders als damals – nicht präventiv gegen die drohende Inflation vorgegangen war.
Bisher scheint der Aufschwung in den USA aber immer noch intakt zu sein. Nach den zweideutigen Signalen der regionalen Konjunkturumfragen in der Vorwoche brachte der landesweite Einkaufmanagerindex etwas mehr Klarheit. Die Umfrage stieg im März sogar an und erreichte damit ein Achtmonatshoch für die US-Geschäftstätigkeit. Offenbar konnten die Lockerungen der Corona-Eindämmungsmaßnahmen die Belastung durch die wachsende Besorgnis über den Krieg in der Ukraine mehr als ausgleichen. Steigende Preise für Energie und andere Rohstoffe trieben den Teilindex für Inputpreise jedoch auf ein rekordverdächtiges Niveau, was darauf hindeutet, dass die Inflation ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Unterdessen sanken die wöchentlichen Anträge auf Arbeitslosenunterstützung auf den niedrigsten Stand seit 1969, was nach Ansicht des Fed-Vorsitzenden Jerome Powell auf einen Arbeitsmarkt hindeutet, der „auf einem ungesunden Niveau angespannt ist“.
Auch in der Eurozone scheint sich die Wirtschaft im März etwas besser gehalten zu haben als erwartet, trotz steigender Rohstoffpreise und der Unsicherheit aufgrund des Einmarsches Russlands in der Ukraine. Der Einkaufsmanagerindex fiel hier nur leicht. Erwartet wurde ein deutlich stärkerer Einbruch. Der Rückgang im verarbeitenden Gewerbe fiel dabei etwas stärker aus als im Dienstleistungssektor, was wahrscheinlich auf die Abhängigkeit der Branche von Rohstoffen im Produktionsprozess zurückzuführen ist, die sich aufgrund des Krieges verteuert haben. Höhere Inputpreise und ein Aufwärtsdruck auf die Löhne haben der Umfrage zufolge zu einem noch nie dagewesenen Anstieg der Preise für Waren und Dienstleistungen geführt. Etwas anders schaut es jedoch auf der Verbraucherseite aus. Der Anstieg der Energiepreise, der sich auf die Kaufkraft auswirkt, und die russische Invasion ließen das Verbrauchervertrauen auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 sinken.
Schätzungen des Nachrichten-Dienstleisters Bloomberg zufolge könnte die Inflation in der Eurozone im März sogar einen Rekordwert von 6,9% erreichen, nachdem sie im Februar noch bei 5,9% stand. Der Beitrag der Energie zur Inflation könnte im März mehr als 4 Prozentpunkte betragen und bis August weiter ansteigen. Auch andere Quellen des Preisdrucks nehmen zu. Die Lebensmittelinflation stieg im Februar sprunghaft auf 4,7% an und dürfte auch weiterhin hoch bleiben, da der Krieg in der Ukraine die Preise für Agrarrohstoffe weiter in die Höhe treibt.
Von daher würde man vermuten, dass – ähnlich wie bei der Fed – der Druck auf die EZB steigt, gegen die hohen Preise entschlossen vorzugehen. Doch die Notenbank findet beschwichtigende Argumente. Entscheidungsträger wie Ignacio Visco und Luis de Guindos stellten fest, dass sie bisher keine übermäßigen Lohnerhöhungen sehen, die die Inflation weiter anheizen würden. Dies würde der EZB im Prinzip einen größeren Spielraum für eine graduellere Anpassung der Geldpolitik geben als dies bei der Fed oder der Bank of England der Fall ist. Dennoch sagen eher konservative Notenbankratsmitglieder wie Bundesbankchef Joachim Nagel, dass die EZB die Anhebung der Zinssätze von den Rekordtiefs nicht aufschieben sollte, wenn die Inflation dies erfordere. Außerdem könne die Notenbank damit möglicherweise bereits im Jahr 2022 beginnen.
In dieser Woche werden weitere Inflationsdaten für Deutschland und die USA erwartet. Sicher scheint, dass die Raten im Vergleich zum Vormonat nochmals zulegen werden, was insbesondere auf die gestiegenen Energiepreise zurückzuführen ist. Wie so oft in den letzten Monaten, könnten die veröffentlichten Werte aber erneut über den bereits hohen Erwartungen seitens der Ökonomen und der Märkte liegen. Viel wird von der Entwicklung der geopolitischen Lage abhängen, die weiterhin nur schwer vorherzusagen ist. Solange dem so ist, ist auch eine Trendumkehr weder beim Thema Inflation, noch beim Anstieg der Anleihezinsen zu erwarten.