Konjunktursignale, die auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung schließen lassen, zeigten sich in der letzten Woche eher von ihrer pessimistischen Seite. In den USA verlor der vom Institute for Supply Management (ISM) ermittelte Index für das verarbeitende Gewerbe im März deutlich an Fahrt. Er fiel auf den niedrigsten Stand seit 2020, da die Auftragseingänge und die Produktion langsamer zunahmen. Bestätigt wurde dies durch die Veröffentlichung der Auftragseingänge in den USA, die bereits im Februar um 0,5% im Vergleich zum Vormonat zurückgingen. Aus der Umfrage des ISM ging außerdem hervor, dass die von den Herstellern gezahlten Preise so stark gestiegen sind wie seit Ende 2020 nicht mehr, was auf eine Verschärfung des Preisdrucks durch den Krieg in der Ukraine zurückzuführen ist. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Einkaufmanagerindex, ein dem ISM vergleichbarer Indikator für das verarbeitende Gewerbe in den USA, wie bereits in der Vorwoche berichtet, dagegen zulegen konnte. Ungeachtet dieser widersprüchlichen Signale gab es zumindest auf dem US-Arbeitsmarkt überzeugende Anzeichen für eine weitere Erholung. Die Arbeitslosenquote ging stärker als erwartet von 3,8% auf 3,6% zurück, wobei die Zahl der Beschäftigten solide um 431.000 stieg.
Auch in der Eurozone sank vor dem Hintergrund des russischen Einmarsches in der Ukraine das von der EU-Kommission monatlich erhobene Wirtschaftsvertrauen. Die Inflationserwartungen stiegen laut dieser Umfrage währenddessen auf den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1985. Passend dazu übertraf im März die Inflation erneut die Erwartungen, denn die Preise stiegen um 7,5% und erreichten damit einen neuen Höchststand. Die Kerninflation, die die volatilen Komponenten wie Nahrungsmittel und Energie ausschließt, erreichte mit 3,0% ebenfalls einen neuen Rekord. Die Kombination aus geringerem Vertrauen und höheren Preisen wird sich vermutlich negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Dennoch verdichten sich seitens der EZB die Signale für eine restriktivere Geldpolitik: Bundesbankpräsident Joachim Nagel forderte die Zentralbank auf, auf den zunehmenden Preisdruck zu reagieren: „Die Inflationsdaten sprechen für sich“. Der ebenso konservative Gouverneur der niederländischen Zentralbank, Klas Knot, bekräftigte, dass die Nettokäufe von Vermögenswerten vor dem Sommer enden sollten, wobei die Leitzinsen „im September, Oktober oder Dezember“ steigen würden. Auch Bostjan Vasle, der Gouverneur der slowenischen Zentralbank, prognostizierte kürzlich in einem Interview, dass die Negativzinsen Ende 2022 oder Anfang 2023 enden könnten.
Hohe Inflation, gedämpfte Wachstumsaussichten und höhere Zinsen drücken schließlich auf die Stimmung der Investoren im Euroraum, die sich im April erneut deutlich verschlechtert hat. Gegenüber dem Vormonat fiel der vom Beratungsunternehmen Sentix erhobene Konjunkturindikator auf den tiefsten Stand seit Juli 2020. Analysten hatten mit einer wesentlich moderateren Eintrübung gerechnet. Sowohl für die Eurozone als auch für Deutschland sei demnach mit einer Rezession zu rechnen, so Sentix.
Gespiegelt werden diese Rezessionsängste auch auf dem globalen Kapitalmarkt. In den USA ist die Rendite auf zweijährige Staatsanleihen seit Jahresbeginn um 1,58 Prozentpunkte gestiegen, so stark wie seit 1984 nicht mehr. Die Rendite auf 10-jährige Staatsanleihen hat in diesem Zeitraum dagegen „nur“ um 0,82 Prozentpunkte angezogen. Die zweijährige Rendite, die sich mit den Zinserwartungen der Märkte bewegt, ist hauptsächlich deshalb gestiegen, weil die US-Notenbank Fed die Zinssätze im März um 25 Basispunkte erhöht hat. Insbesondere sind in diesem Jahr noch acht weitere Erhöhungen um jeweils einen Viertelprozentpunkt eingepreist. Infolgedessen stiegen die zweijährigen US-Renditen zum ersten Mal seit August 2019 wieder über die der zehnjährigen und kehrten damit einen Teil der Renditekurve um. Im Normalfall stehen die längerfristigen Zinsen aber über den kurzfristigen Renditen. Diese Umkehr (auch Inversion genannt) wird daher traditionell als Signal für eine Verschlechterung der langfristigen Wachstumsaussichten, und daher als Rezessionswarnung, gewertet. Hintergrund ist, dass sich die Märkte derzeit um die Gefahr sorgen, dass eine zu restriktive Geldpolitik der Fed eine Rezession auslösen könnte.
Die Indizien für eine Zinserhöhung in den USA um sogar einen halben Prozentpunkt statt der sonst üblichen 25 Basispunkten während der Mai-Sitzung haben sich laut Präsidentin der Fed von San Francisco, Mary Daly, vergrößert. Eine schnellere Zinserhöhung könnte zu einer noch stärkeren Inversion der Renditekurve führen. Dies wiederum könnte der Angst vor einer „harten Landung“ der US-Wirtschaft weiter Auftrieb verleihen.
Die Umkehr der US-Zinskurve ist jedoch nicht ein so eindeutiges Signal, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Eine aktuelle Studie der Fed lässt Zweifel an der Zuverlässigkeit dieses Signals aufkommen. Die Auswirkungen der massiven Anleihekäufe der Fed seit dem Beginn der Pandemie und die langfristig wieder niedrigeren Inflationserwartungen könnten bedeuten, dass die Umkehrung der Renditekurve dieses Mal eher durch technische Faktoren als durch wirtschaftliche Fundamentaldaten bedingt ist. Im klassischen Fall würden nämlich fallende langfristige Zinsen darauf hindeuten, dass die Wachstums- und damit auch die Inflationserwartungen in der längeren Frist niedriger sind als aktuell. Dies würde in der Tat ein Indiz für eine abkühlende Wirtschaftsdynamik in der Zukunft liefern. Aktuell sind die hohen kurzfristigen Zinsen aber eher durch die hohe Inflation aufgrund der steigenden Energiepreise und der Lieferengpässe begründet. Lassen diese Sonderfaktoren nun über die Zeit nach und die Inflation normalisiert sich, könnten die Zinsen in der Langfrist wieder fallen, was aber nicht zwangsläufig mit einer Rezession einhergehen muss.
Dennoch könnten die Zinsen in nächster Zeit vorerst weiter steigen. Denn Kapitalmarktzinsen reagierten in den vergangenen Zinszyklen schon vor der eigentlichen Reaktion der Geldpolitik auf die geänderten Umstände. Insbesondere kurzfristige Zinsen nehmen dabei die geldpolitische Entwicklung oft gänzlich auf. Hintergrund sind die Markterwartungen hinsichtlich des wahrscheinlichen Verhaltens der Zentralbanken („Reaktionsfunktion“ der Zentralbanken) und die Kommunikation der Notenbankgouverneure im Vorfeld der Zinsentscheidungen. Haben wir nun also bereits einen Großteil des Zinsanstiegs gesehen? Die „Forward Rates“ (implizite Zinserwartungen des Marktes) sehen aktuell einen relativ geringen Anstieg in der mittleren Zukunft. Das ist aber nur eine Momentaufnahme. Sollten sich die Preissteigerungen weiterhin als hartnäckiger als gedacht herausstellen, würden die Spekulation schnell darüber zunehmen, dass die Notenbanken noch mehr Zinsschritte als aktuell impliziert vornehmen müssen, um der Inflation Einhalt zu gebieten. In diesem Fall wäre ein Ende der Fahnenstange beim Zinsanstieg noch lange nicht erreicht.