Um stolze 7,3% sind die Verbraucherpreise in Deutschland im Vergleich zum Vorjahresmonat im März geklettert. Das ist der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Ähnlich stark angezogen haben die Preise im Herbst 1981, als aufgrund des Ersten Golfkriegs die Ölpreise ebenfalls stark angestiegen sind. Der Preis für Heizöl hat sich im März im Vergleich zum Vorjahr beispielsweise mehr als verdoppelt, während das Tanken sich um 47% verteuerte. Aber auch für Nahrungsmittel mussten die Deutschen 6,2% mehr ausgeben als vor einem Jahr. Bundesbankpräsident Joachim Nagel erklärte unterdessen, er rechne in diesem Jahr mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 6% in Deutschland.
In der Eurozone sieht es nicht besser aus. Hier lag die Inflation im März bei 7,5%. Da die hohe Inflation die Kaufkraft der Haushalte untergräbt, sind die Aussichten für die Verbraucher nicht gerade rosig. Positiv zu vermerken ist, dass die Haushalte immer noch über ein beträchtliches Sparguthaben verfügen, das sie während der Pandemie angesammelt haben, und dass einige Regierungen Energiepreisobergrenzen, Steuersenkungen und Transferleistungen einsetzen, um den Schock abzufedern. Im Februar sind die Einzelhandelsumsätze im Euroraum zumindest noch um 0,3% gegenüber dem Vormonat gestiegen. Vermutlich wird sich das aber bald ändern.
Die Europäische Zentralbank (EZB) sieht sich einem immer größeren Druck ausgesetzt zu reagieren, da die Inflation fast viermal so hoch ist wie die angestrebte 2%-Marke und ihre Kollegen im Vereinigten Königreich und in den USA bereits mit Zinserhöhungen begonnen haben. Das jüngst veröffentlichte Protokoll der Sitzung im März hat aber die bestehenden Meinungsunterschiede innerhalb des EZB-Rates deutlich gemacht. Die Mitglieder des Notenbankrats sind dabei gespalten zwischen den „Falken“, die mit Blick auf die extrem hohe Inflation auf eine Zinserhöhung drängen, und den „Tauben“, die für Vorsicht plädieren.
Generell wird das bisherige Vorgehen der EZB nicht unkritisch gesehen. Der erste Chefvolkswirt der EZB und damit einer der Gründerväter, Otmar Issing, zeigte sich in einem Interview jüngst beunruhigt über die „fehlgeleitete“ Reaktion der EZB auf die Inflation. Laut seiner Meinung reagiert die EZB zu spät, wobei die US-Notenbank Fed möglicherweise noch weiter hinterherhinkt. Außerdem schätze die EZB die Faktoren falsch ein, die die Ursache für die aktuellen Preissteigerungen sind. Auch Axel Weber, der ehemalige Chef der Bundesbank, sieht das ähnlich und sagte, es sei „unverständlich“, dass die EZB so lange brauche, um ihre Politik zu ändern.
Momentan geht die Notenbank der Eurozone in ihren Prognosen nämlich davon aus, dass viele der preissteigernden Faktoren ab Ende dieses Jahres abklingen werden, sodass die Inflation bis 2024 wieder unter 2% fallen wird. Laut den Kritikern besteht aber das Risiko, dass die Inflation nicht nur wegen der Pandemie und Russlands Einmarsch in der Ukraine, sondern auch aus strukturellen Gründen höher bleiben wird. Die Globalisierung könnte nämlich zum Teil wieder auf dem Rückzug sein, da Handelsspannungen zunehmen, die Unternehmen ihre Lieferketten widerstandsfähiger machen und Europa seinen Wechsel weg von fossilen Brennstoffen beschleunigt.
Mehrere EZB-Politiker wie der aktuelle Chefvolkswirt Philip Lane haben erklärt, dass sie nur wenig gegen diese externen Faktoren unternehmen können, die die Energiepreise in die Höhe treiben. Gleichzeitig befürchten sie, dass eine zu frühe Anhebung der Zinssätze einen schweren Abschwung auslösen könnte. Auch Herr Issing stimmte dem zu, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für eine Zinserhöhung auf ein hohes Niveau sei. Er sagte jedoch, dass die EZB ihre Unterstützungsmaßnahmen bereits zu lange beibehalten habe.
Hinter dieser Kritik steckt vor allem die Angst vor einer „Stagflation“, eine Lage mit steigender Inflation und verlangsamtem Wirtschaftswachstum. Solch eine Situation ist nämlich die ungünstigste für eine Zentralbank, da die beiden Ziele Preisstabilität und wirtschaftliche Unterstützung im Konflikt stehen. Bekannte Beispiele dafür sind die beiden Ölschocks der 1970er Jahre. Die Bundesbank hatte sich damals eher auf das Inflationsziel konzentriert und die geldpolitischen Zügel angezogen. Die Folge war eine moderate Inflation und eine leichte Rezession. Laut der Meinung von Herrn Issing hatte die amerikanische Fed damals aber zu lange gewartet, weshalb die USA dann mit einer zweistellige Inflation und einer Rezession zu kämpfen hatte. Und dieser Fehler werde laut ihm aktuell wiederholt.
Der EZB-Rat trifft sich in dieser Woche zu seiner nächsten geldpolitischen Sitzung. Dabei wird wahrscheinlich diskutiert werden, ob die Reduzierung der Anleihekäufe im dritten Quartal beschleunigt werden sollten, damit eine Zinserhöhung im Sommer eingeleitet werden kann. Die Marktteilnehmer gehen davon aus, dass die Zentralbank die Zinssätze in diesem Jahr ein- oder zweimal um je 25 Basispunkte anheben wird, wahrscheinlich zwischen September und Dezember. Einige spekulieren sogar auf einen größeren Zinsschritt in Höhe von 50 Basispunkten. Ob die EZB und die Fed wirklich zu spät gehandelt haben und ob die historischen Vergleiche Stand haben werden, wird, wie so oft, die Zukunft zeigen müssen. Mark Twain wusste hierzu schon zu berichten: „History never repeats itself, but it does often rhyme“.