Die weltweiten Rentenmärkte blicken auf ein schwieriges Jahr 2021 zurück. Der Barclays Global Aggregate Index, der die Wertentwicklung der Anleihen von Staaten und Unternehmen im Wert von 68 Bio. USD widerspiegelt, verlor knapp fünf Prozent im vergangenen Jahr. Dies war die schlechteste Entwicklung seit dem Jahr 1999. Das weltweite Volumen negativ verzinslicher Anleihen hat sich innerhalb von 12 Monaten seit dem Höchststand Ende 2020 auf 5 Bio. USD fast halbiert.
Die Misere setzte sich zu Jahresbeginn fort. Am Ende der vergangenen Woche stieg die Rendite 10-jähriger Bundesanleihen auf nahezu null Prozent, den höchsten Wert seit Mai 2019. Auslöser für den Anstieg waren, wie schon in 2021, überraschend hohe Inflationszahlen und die Aussicht auf ein schneller als gedachtes Ende der lockeren Geldpolitik.
In der Eurozone kletterte die Inflation im Dezember unerwartet weiter von 4,9% auf einen neuen Rekordwert von 5%. Damit sollte der Preisanstieg seinen Hochpunkt mehr oder weniger erreicht haben, meint der französische Notenbankgouverneur und EZB Ratsmitglied Francois Villeroy de Galhau. Schwierigkeiten auf der Angebotsseite (also Lieferkettenstörungen und Materialknappheit) sollten sich im Jahresverlauf schrittweise auflösen. Gleiches soll für die Energiepreisentwicklung gelten, die im Vorjahr ein wesentlicher Treiber des Inflationsanstiegs gewesen war.
Hinweise darauf, dass sich die Lieferkettenprobleme etwas entspannen, geben auch die Einkaufsmanagerindizes. Sowohl in den USA als auch in der Eurozone berichten die monatlich befragten Unternehmen, dass die Lieferzeiten sich verbessert haben (obwohl sie nach wie vor hoch sind), und dass der Druck auf die Herstellkosten etwas abgenommen hat. Ein ähnliches Bild zeichnet eine aktuelle Studie der New Yorker Repräsentanz der Federal Reserve (vergleichbar mit unseren Landeszentralbanken). Dieser zufolge hat das Niveau der weltweiten Lieferkettenstörungen den höchsten Wert seit mindestens 1997 erreicht, aber der Index, der 27 Variablen zusammenfasst, könnte sich im Weiteren etwas beruhigen.
Ungewisser ist allerdings, ob die Energiepreise tatsächlich wie erwartet den Rückzug antreten werden. Dies stellt das Basisszenario für die Inflationsprognose der EZB dar, welche von einem Rückgang der Inflation auf durchschnittlich 1,8% in 2023 und 2024 ausgeht. Kurzfristig könnte der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze aber für weiter steigende Preise sorgen. Insbesondere dann, wenn es zu neuen Sanktionen seitens des Westens oder zu weiteren Verzögerungen bei der Genehmigung der Erdgaspipeline Nord Stream II kommt. Auf mittlere Sicht könnte die Wende hin zu erneuerbaren Energien zu höherer Inflation führen und damit möglicherweise eine Kurskorrektur der Notenbank erzwingen, wie EZB Ratsmitglied Isabel Schnabel erst kürzlich erklärte.
Eine solche Entwicklung stellt aber ein Dilemma dar, wenn der Preisauftrieb zu Lasten des Wirtschaftswachstums geht. So zeigen die jüngsten Wirtschaftsdaten im Euroraum ein ambivalentes Bild. In Deutschland und Frankreich schwächelte unerwartet die Industrieproduktion im November. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt, welches kommenden Freitag berichtet wird, könnte im vierten Quartal 2021 einen Rückgang verzeichnet haben, schrieb die Bundesbank in ihrem Dezember Monatsbericht. Der Arbeitsmarkt in Deutschland entwickelte sich in den vergangenen Monaten zwar erfreulich. So fiel die Arbeitslosenrate von 5,3% auf 5,2% im Dezember. Doch die Bundesagentur für Arbeit wies darauf hin, dass die Nachfrage nach Kurzarbeit zunimmt und dass die Arbeitslosenrate in den kommenden Monaten wieder ansteigen könnte. Die Einzelhandelsumsätze der Eurozone stiegen im November überraschend um ein Prozent im Monatsvergleich. Sollte die Inflation aber hartnäckig hochbleiben, dürften die Verbraucher zukünftig mehr Zurückhaltung üben. Damit bräche aber ein wichtiger Konjunkturpfeiler weg.
Ein Zinsschritt seitens der EZB ist in 2022 angesichts dieser Unsicherheit recht unwahrscheinlich, und wäre sogar ein Politikfehler, wie Chefvolkswirt Philip Lane erst kürzlich betonte. Trotzdem könnte der Aufwärtsdruck am Rentenmarkt noch eine Weile anhalten. Dafür spricht zunächst, dass ab März das Volumen der von der EZB im Rahmen ihrer Kaufprogramme erworbenen Anleihen deutlich abnehmen wird. Während im Vorjahr die Notenbank deutlich mehr Anleihen kaufte als von den Mitgliedsländern im Euroraum per Saldo emittiert wurde, dreht sich dieses Verhältnis in 2022 um.
Druck auf die Anleihenmärkte könnte auch die Zinsentwicklung in den USA auslösen. Die jüngsten Protokolle der Dezember Fed Sitzung legen nahe, dass die US Notenbank die Zügel der Geldpolitik noch rascher straffen möchte. Einige Fed Offizielle sprachen sich sogar dafür aus, bereits im März mit dem ersten Zinsschritt zu beginnen. Im Dezember war die Notenbank von drei Zinsschritten in 2022 ausgegangen, aber manche Investmenthäuser rechnen bereits mit vier Anhebungen in diesem Jahr. Begründet wird die Eile mit der Inflationsgefahr. Am 12. Januar wird die Inflationsrate für den Dezember 2021 berichtet. Der Konsens der Analysten rechnet mit einem Anstieg von sieben Prozent. Dies wäre der höchste Wert der letzten vierzig Jahre. Zunehmend befürchten Volkswirte, dass die Fed zu zögerlich agiert. Anlässlich des jährlichen Treffens der American Economic Association klagten prominente Ökonomen auf beiden Seiten des politischen Spektrums, dass die Notenbank „behind the curve“, also zu spät dran sei, den Inflationsausbruch einzudämmen.
Angesichts von Inflationsrisiken, einer strafferen Geldpolitik in den USA und weniger Anleihenkäufe im Euroraum dürfte auch 2022 kein leichtes Jahr für die Rentenmärkte werden.