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KW 24/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Die Finanzmärkte zeigten sich in der vergangenen Woche erneut beunruhigt. Und wieder war es die Inflation und die darauf reagierende Geldpolitik, die dafür verantwortlich gemacht werden können. Die US-Aktienmärkte verzeichneten dabei ihre schlechteste Woche seit Januar. Der Leitindex S&P 500 erfuhr den neunten Wochenrückgang in den letzten zehn Wochen. Aber auch die Rentenmärkte reagierten stark. Die Kosten für kurzfristige US-Staatsanleihen stiegen auf den höchsten Stand seit November 2018, was eine Umkehrung der Renditekurve auslöste – ein mögliches Signal für eine Rezession. Aber auch die europäischen Aktienmärkte fielen so stark wie seit einem Monat nicht mehr, während sich die Anleger aus den Schulden der am höchsten verschuldeten Länder Europas zurückzogen.
Hintergrund war die Veröffentlichung der US-Inflationsdaten, die die Märkte beunruhigte. Der Anstieg der Verbraucherpreise in den USA setzte sich nämlich im Mai mit einer Beschleunigung auf 1% gegenüber dem Vormonat fort. Im Jahresvergleich stieg die Inflationsrate sogar auf 8,6% an und erreichte damit den höchsten Stand seit Dezember 1981. Viele Ökonomen hatten damit gerechnet, dass die Preissteigerungen zurückgehen würden. Im Konsens war man zumindest von einer stagnierenden Rate ausgegangen. Die hohe Inflation drückte dabei auf die Verbraucherstimmung, wobei der von der Universität Michigan veröffentlichte Indikator deutlich stärker als erwartet zurückging.
Die Finanzmärkte reagierten aber insbesondere auf die zu erwartende Reaktion seitens der Geldpolitik. Um die anhaltend hohe Inflation zu bekämpfen, wird erwartet, dass die US-Fed weiter an der Zinsschraube drehen wird. Bei ihrem Treffen in dieser Woche wird die Zentralbank den Leitzins wohl um 0,5 Prozentpunkte erhöhen. Damit würde der Zins bei 1,5% liegen, nachdem er Anfang März noch bei 0,25% stand. Einige Vertreter der Notenbank fordern sogar eine besonders aggressive Anhebung der Zinsen. Der Präsident der Fed von St. Louis, James Bullard, forderte die Fed-Mitglieder in diesem Zusammenhang auf, die Zinssätze in diesem Jahr auf 3,5% anzuheben, um die Inflation zu senken. „Ich glaube, wir stehen kurz davor, die Kontrolle über die Inflationserwartungen zu verlieren“, sagte Herr Bullard.
Aber nicht nur die amerikanische Notenbank ist gerade dabei, ihre Geldpolitik zu verschärfen. Die Europäische Zentralbank (EZB) bestätigte auf ihrer Sitzung in der vergangenen Woche ihre Pläne, das Anleihekaufprogramm zu beenden und die Zinssätze im Juli zum ersten Mal seit 2011 anzuheben. Die Zentralbank überraschte hierbei die Märkte, indem sie signalisierte, dass sie die Zinssätze im September sogar um einen halben Prozentpunkt anheben könnte, zusätzlich zu einer geplanten Anhebung um einen Viertelpunkt im Juli, was eine stärkere Anhebung als erwartet darstellt.
Für einige Ökonomen kommt diese Ankündigung der EZB jedoch zu spät. Die US-Fed hatte bereits im März angefangen, die Zinsen anzuheben, während die EZB erst jetzt reagiert. Der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, sieht die Ankündigung zwar als „einen richtigen Schritt, der aber zu spät kommt“. Es sei nicht akzeptabel, dass die Notenbank bei einer Inflation von 8% bis heute an Negativzinsen und Anleihekäufen festgehalten habe. Auch der Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel sieht das ähnlich. Die verkündeten Schritte seien ein überfälliger Anfang, „aber eben auch nur das“.
Wichtig für die weiteren Zinsschritte werden die weitere Entwicklung der Preise und deren Hartnäckigkeit sein. Sollten die Preise nämlich noch eine Zeit lang weiter so stark steigen, könnten die Inflationserwartungen der Bürger weiter zunehmen. Dadurch könnte sich die hohe Inflation dann dauerhaft festsetzen, worauf die Geldpolitik mit noch stärkeren Interventionen reagieren müsste. Bisher scheinen die Inflationserwartungen nicht aus dem Ruder gelaufen zu sein, denn die Lohnforderungen halten sich noch in Grenzen. Das reduziert das Risiko einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale, bei der die Preise und Löhne gemeinsam stark ansteigen, was die Inflation hartnäckiger macht. Im Vorfeld der offiziellen Ankündigung der Lohnforderungen am 20. Juni verkündete beispielsweise der IG Metall-Chef, dass die Lohnforderung für ein Zweijahresabkommen in Deutschland mindestens 7% betragen wird. Sollte sich dies bestätigen, so wäre das unter den derzeitigen Umständen eine relativ moderate Forderung, gegeben der Laufzeit von zwei Jahren.
Für die weitere Inflationsentwicklung wird auch die Konjunktur ausschlaggebend sein. Bei der Veröffentlichung ihrer aktuellen Prognose warnte die Industriestaatenvereinigung OECD davor, dass die Weltwirtschaft einen „hohen Preis“ für Russlands Einmarsch in der Ukraine zahlen wird. Daher senkte sie ihre Wachstumsprognose für 2022. Die OECD geht davon aus, dass das weltweite Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2022 um 3% wachsen wird, was eine deutliche Revision gegenüber den im Dezember geschätzten 4,5% bedeutet. Auch die EZB korrigierte ihre Makroprognosen nach unten. Das Wachstum im Euroraum wird nun bei 2,8% in diesem Jahr (3,7% in der März-Prognose) und 2,1% im Jahr 2023 (2,8% im März) gesehen. Dabei nimmt die EZB an, dass sich die Preissteigerungen verlangsamen werden. Nachdem für dieses Jahr mit 6,8% gerechnet wird, sollen die Preise 2023 nur noch um 3,5% zulegen, gefolgt von 2,1% in 2024. Das würde dann beinahe dem EZB-Ziel von 2% entsprechen. Insbesondere mit Blick auf die Steigerungen bei den Energiepreisen sind solche langjährigen Prognosen jedoch mit großer Unsicherheit behaftet. Denn auf den globalen Energiemarkt und den Krieg in der Ukraine hat die Geldpolitik bekanntlich wenig Einfluss.