Die Stimmung unter Markteilnehmern bleibt weiter gedrückt. In der vergangenen Woche erlebten die globalen Aktienmärkte den heftigsten Rückgang seit Beginn der Pandemie im März 2020. Gleichzeitig berichtet das ZEW Institut in seiner monatlichen Umfrage, dass der Konjunkturoptimismus der befragten Finanzanalysten im Juni sich weiterhin auf sehr tiefem Niveau befindet, trotz einer marginalen Verbesserung im Vergleich zum Vormonat. Achim Wambach, Präsident des Forschungsinstituts, fasst die Gründe für die schlechte Stimmung wie folgt zusammen. Die Wirtschaft ist immer noch zahlreichen Risiken ausgesetzt, dazu zählen die Auswirkungen der Sanktionen gegenüber Russland, die ungewisse pandemische Situation in China sowie die Kursänderung der Geldpolitik.
Auch der Bundesverband der deutschen Industrie sieht wenig Grund für konjunkturellen Optimismus. Der BDI erwartet in diesem Jahr nur noch ein Wachstum der deutschen Wirtschaft von 1,5% und damit 2 Prozentpunkte weniger als vor Beginn des russischen Einmarsches in der Ukraine. Die doppelte Krise aus der Invasion und den Auswirkungen der Pandemie belasten die Industrie, wie der Verbandspräsident erklärt. Eine Unterbrechung der russischen Gaslieferungen würde die deutsche Wirtschaft unweigerlich in die Rezession schicken. Seit letzter Woche hat Russland seine Lieferung in Richtung Westeuropa massiv um etwa 60% gedrosselt.
Dieser Schritt Russlands lies die Gaspreise in der vergangenen Woche um mehr als 50% in die Höhe schnellen. Dies wiederum schürt die Sorge, dass die Inflation noch weiter steigen könnte. Das Bundesstatistikamt bestätigte jüngst, dass die Verbraucherpreise in Deutschland im Mai um fast 8% zugelegt haben. Für das Gesamtjahr rechnet die Bundesbank mit einer Teuerungsrate von 7,1%. Druck auf die Inflation könnte zusätzlich aufkommen, wenn sich das Lohnwachstum deutlich beschleunigt. Darauf hatte Bundesbankpräsident Joachim Nagel erst kürzlich hingewiesen. So schlägt die IG Metall eine Lohnerhöhung von 7% bis 8% für ihre 3,8 Millionen Mitglieder vor. Der Vorschläge würde einen 12-Monatszeitraum abdecken und den höchsten Anstieg der vergangenen 13 Jahre darstellen.
Die anhalten hohe Inflation zwingt die Notenbanken zum Handeln. In der vergangenen Woche erhöhten die amerikanische Notenbank Fed, die Bank of England und die Schweizer Nationalbank ihren jeweiligen Leitzins. Besonders drastisch zeigte sich dabei die Fed. Sie erhöhte den Leitzins nicht nur zum ersten Mal seit 1994 um 75 Basispunkte, sondern signalisierte auch, dass der Zins bis Ende 2023 von derzeit 1,75% auf 3,8% steigen könnte. Vor drei Monaten waren die Fed Offiziellen lediglich von einem Anstieg auf 2,8% ausgegangen. Der Weg dorthin könnte recht kurz ausfallen. Sofern sich der Preisauftrieb nicht ausreichend beruhigt, würde etwa Gouverneur Christopher Waller eine weitere Anhebung um 75 Basispunkte bereits im Juli befürworten. Für eine solche Beruhigung des Inflationstrends gibt es bislang wenig Anzeichen. Loretta Mester, die Präsidentin der regionalen Fed in Cleveland, geht stattdessen davon aus, dass es einige Jahre dauern wird, bis die Inflation zum Ziel von 2% zurückkehren wird.
Weniger Eile als die Fed verspürt die Europäische Zentralbank. Nachdem die Notenbank auf ihrer Sitzung am 9. Juni verkündet hatte, im Juli zum ersten Mal seit mehr als 10 Jahren die Leitzinsen anheben zu wollen, kam es bereits zu ersten Markturbulenzen. Zeitweise erreichten die Renditen 10-jähriger italienischer Staatsanleihen mit 4,18% den höchsten Stand der vergangenen acht Jahre. Daraufhin berief die EZB eine Krisensitzung ein. Auf dieser kündigte sie an, die Arbeit an einem Instrument zur Krisenbekämpfung beschleunigen zu wollen. Zudem betonten Offizielle wie Ratsmitglied Mario Centano, dass die geplante Änderung der Geldpolitik nur graduell erfolgen wird.
Ein solches Kriseninstrument, um Marktverwerfungen zu begegnen, wird mancherorts kritisch gesehen. So betonte Finanzminister Christian Lindner, dass es kein Grund zur Sorge sei, wenn in manchen Ländern die Zinsen schneller ansteigen würden als in anderen. Anderseits könnte ein solches Instrument dazu beitragen, die Inflationsbekämpfung mittels Leitzinserhöhungen von der Sorge um den Zusammenhalt der Eurozone zu entkoppeln. Dies wiederum würde es der EZB leichter machen, sich von ihrem graduellen Vorgehen zu verabschieden und ähnlich wie die Fed ein deutlicheres Signal zu setzen, dass sie es mit der Inflationsbekämpfung ernst meint.