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KW 27/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Wie schon in den Vorwochen überwogen die schlechten makroökonomischen Nachrichten, und manche gute Meldung war nur auf den ersten Blick erfreulich. So blieb die Investorenlaune weiterhin gedrückt, wie die Firma Sentix in ihrer monatlichen Umfrage meldete. Im Juli war die Stimmung so schlecht wie zuletzt im Mai 2020. Für Sentix deutet dies auf eine „unvermeidliche“ Rezession im Euroland hin, deren Tiefe es nun auszuloten gelte.
Auch der fortgesetzte Absturz des Verbrauchervertrauens deutet in diese Richtung. In Deutschland erreichte der Index der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ein Allzeittief, während eine vergleichbare Umfrage bei unseren französischen Nachbarn den sechsten Rückgang in Folge verbuchte und den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2013 erreichte. Schuld am unerwartet deutlichen Rückgang sind die gestiegenen Lebenshaltungskosten, wie die GfK erklärte. Die Steigerung derer erreicht in Deutschland derzeit knapp acht Prozent.
Im Juni sank zwar die Inflation in Deutschland von 7,9% auf „nur“ noch 7,6%. Doch verantwortlich dafür ist nicht ein Nachlassen der Preisanstiege bei Energie und Nahrungsmitteln, sondern die zeitweise geringeren Kosten für den öffentlichen Nahverkehr und an der Tankstelle – dank Tankrabat und 9-Euro-Ticket. Währenddessen stieg im Euroraum die Inflation weiter von 8,1% im Mai auf 8,6% im Juni.
Trotz der hohen Inflation erholten sich die Einzelhandelsumsätze im Mai etwas. In Deutschland stiegen sie um 0,6%, in Frankreich um 0,7%. Doch dabei dürfte es sich um eine normale Reaktion handeln, nachdem im Vormonat noch die Umsätze deutlich eingebrochen waren. Auch wenn vieles teurer wird, profitieren die Haushalte weiterhin von einem robusten Arbeitsmarkt. Im Euroraum sank die Arbeitslosenrate im Mai von 6,7% auf ein neues Rekordtief von 6,6%. In Deutschland stieg die Arbeitslosenrate zum ersten Mal nach fünfzehn Monaten kontinuierlicher Rückgänge. Doch die unerwartete Entwicklung lässt sich damit erklären, dass ukrainische Flüchtlinge in den Jobcentern als Arbeitslose registriert wurden. Insgesamt sei die Lage am Arbeitsmarkt aber stabil, so der Chef der Bundesarbeitsagentur. Zumindest noch, könnte man hinzufügen. Denn die monatliche Einkaufsmanagerumfrage, veröffentlicht von S&P Global, deutet auf ein langsameres Jobwachstum hin. Der düstere Konjunkturausblick könnte die Unternehmen dazu veranlassen, ihre Personalplanung zu überdenken.
Auf kurze Sicht rechnet die Bundesbank für Deutschland trotz allem noch mit positivem Wachstum im zweiten Quartal, wie die Notenbank in ihrem aktuellen Monatsbericht schreibt. Sie sieht einerseits die Konsummöglichkeiten dank aufgehobener pandemiebedingter Beschränkungen. Auf der anderen Seite belasten hohe Energiepreise die Kaufkraft, während die Exporte unter Lieferkettenengpässen, den Russlandsanktionen und schwächerer ausländischer Nachfrage leiden. So verzeichnete Deutschland im Mai das erste monatliche Handelsbilanzdefizit seit 1991. Für Deutschland, das in der Vergangenheit stark vom Exportmotor profitierte, ist dies eine besorgniserregende Entwicklung.
Hinzu kommt die Unsicherheit, wie es um die Gasversorgung aus Russland bestellt ist und welche wirtschaftlichen Konsequenzen ein Lieferstopp hätte. Laut einer Ende Juni veröffentlichten Studie des Bayerischen Industrieverbands könnte dies für die deutsche Wirtschaft Produktionseinbußen in Höhe von knapp 200 Mrd. Euro bedeuteten, und bis zu 5,6 Mio. Arbeitsplätze kosten.
Gleichzeitig ist höchst ungewiss, ob in einer solchen Krise die Europäische Zentralbank gegensteuern könnte. Derzeit diskutieren die Notenbanker vielmehr, wie schnell die Leitzinsen angehoben werden sollen, und ob 25 oder 50 Basispunkte ein angemessener Auftakt sind. Die Geldmärkte rechnen damit, dass bis Mitte nächsten Jahres die Leitzinsen um insgesamt 200 Basispunkte steigen werden. Zinssenkungen und Wertpapierkäufe wie zu Beginn der Pandemie und während der Euro-Schuldenkrise sind im aktuellen Inflationsumfeld dagegen schwer vorstellbar. Für die Finanzmärkte dürfte das Fahrwasser daher auch weiterhin schwierig bleiben.