In den letzten Wochen hatten wir an dieser Stelle regelmäßig über die schlechte Stimmung gesprochen, die Finanzanalysten, Konsumenten und Unternehmen fest im Griff hat. Zuletzt berichtete das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in ihrer aktuellen Umfrage, dass die Konjunkturerwartungen in Deutschland so trübe sind wie zuletzt im Jahr 2011.
Passend dazu veröffentlichte die Nachrichtenagentur Bloomberg ebenfalls in dieser Woche eine Umfrage mit der Frage wie wahrscheinlich eine Rezession in Deutschland und im Euroraum innerhalb der nächsten 12 Monate ist. Vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar rechneten gerade mal 20% der befragten Volkswirte mit einem wirtschaftlichen Einbruch. Seitdem sind die Ängste stetig gewachsen. Im Juli befürchteten bereits 45% eine Rezession im Euroraum. Gleichzeitig rechneten 55% der Umfrageteilnehmer damit, dass die deutsche Wirtschaft eine Bruchlandung erleben wird.
Für Volkswirte sind solche Umfragen zur Stimmungslage wichtig, denn erstens sind sie früher verfügbar als die Informationen zur tatsächlichen Lage der Konjunktur, wie etwa die Industrieproduktion oder die Umsätze im Einzelhandel. Zweitens beeinflussen Stimmungen und Herdenverhalten die Entscheidungen von Unternehmen und Haushalten, wenn es um Investitionen, Neueinstellungen oder größere Anschaffungen geht.
Allerdings werden diese Umfragen zur Stimmungslage selbst von Gefühlen und Herdenverhalten beeinflusst. Wenn der Umfrageteilnehmer beim Ausfüllen des Fragebogens sitzt und vor allem von Sorgen über Energieversorgung, steigenden Zinsen und coronabedingten Einschränkungen in China hört, dürfte dies auf seine eigene Stimmung abfärben, selbst wenn die persönliche Lage gar nicht so negativ ist.
Diesen Eindruck konnte man zumindest in den letzten Tagen gewinnen. Die Einzelhandelsumsätze im Euroraum stiegen im Monatsvergleich im Mai preisbereinigt immer noch um 0,2%, und lagen damit nahezu im Rahmen der Erwartung. In Deutschland gab es gute Nachrichten aus dem Industriesektor. Die Auftragslage verbesserte sich im Mai unerwartet, zudem fiel der Rückgang im Vormonat etwas weniger heftig aus als anfänglich berichtet. Gleichzeitig nahm die Industrieproduktion im Mai um 0,2% zu, was zwar leicht weniger als erwartet war, doch dafür wurde der Wert für den Vormonat ebenfalls nach oben korrigiert. Insgesamt also sieht es am aktuellen Rand deutlich weniger düster aus als es die gedrückten Werte von Geschäftsklima, Investorenstimmung und Konsumentenvertrauen nahelegen.
Ein wichtiger Gradmesser der Konjunkturlage ist insbesondere der Arbeitsmarkt. In einer Rezession steigt üblicherweise die Arbeitslosenrate. Bislang ist das Gegenteil der Fall. In den USA wurde vergangenen Freitag der offizielle Arbeitsmarktbericht vorgestellt. Diesem zufolge übertraf die Zahl der neugeschaffenen Stellen die Erwartungen deutlich, die Arbeitslosenrate blieb stabil auf historisch niedrigem Niveau. Trotz allem Pessimismus gibt es immer noch zwei offene Stellen für jeden, der eine Arbeit sucht. Auch in Deutschland ist der Arbeitsmarkt weiterhin stabil, wie Ende Juni der Chef der Bundesarbeitsagentur meldete.
Angesichts dieser Lücke sind zwei Entwicklungen vorstellbar. Entweder die Stimmungslage ist zu negativ und passt sich der „Realität“ an. Oder es braucht einfach eine gewisse Zeit, bis sich die eingetrübte Lage auch in den harten Fakten abbildet, die ja zum Teil nur Stand per Mai abbilden. Welcher der beiden Pfade realistischer ist, wird stark von der Möglichkeit eines russischen Gasstopps abhängen. Seit dem 11. Juli ist die Pipeline für zehn Tage für Wartungsarbeiten außer Betrieb genommen. Nicht wenige befürchten, dass die Betriebspause durchaus länger ausfallen könnte. Schätzungen der Bundesbank und anderer Institute sehen in diesem Fall Deutschland in die Rezession schlittern, mit negativen Folgen auch für den Rest des Euroraums. In wenigen Wochen dürfte Klarheit herrschen, wohin die konjunkturelle Reise geht und auf welchen der beiden Pfade es hinauslaufen wird.