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KW 30/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Die Anzeichen für einen drohenden Konjunkturabschwung mehren sich. Dies ist zumindest die Botschaft der Frühindikatoren, welche in den letzten Tagen veröffentlicht wurden. Das Unternehmensvertrauen in Deutschland ist laut Ifo-Institut im Juli auf den niedrigsten Stand der letzten zwei Jahre gesunken. So düster waren die Erwartungen zuletzt in den frühen Monaten der Pandemie. Ähnlich sieht es bei den Einkaufsmanagerindizes aus. Diese fielen sowohl in Deutschland, aber auch im Euroraum insgesamt, deutlich mehr als erwartet. Zudem signalisieren die Umfragewerte einen Rückgang der wirtschaftlichen Tätigkeit. Nicht viel besser sieht es beim Verbrauchervertrauen aus. Die Haushalte leiden unter der hohen Inflation. Das belastet die Stimmung, auch wenn die Arbeitslosenraten immer noch sehr niedrig sind. Folglich sank das Konsumentenvertrauen im Euroraum im Juli auf ein Rekordtief, wie die Europäische Kommission berichtete.
Wie wir in den letzten Wochen geschrieben haben, sind die harten Konjunkturdaten am aktuellen Rand noch vergleichsweise solide. Am Freitag, wenn die Daten für das Bruttoinlandsprodukt des zweiten Quartals veröffentlicht werden, rechnen die Analysten auch weiterhin mit positiven Zuwachsraten. Im Euroraum wird ein Plus von 0,2% erwartet, in Deutschland könnte die Wirtschaft um 0,1% zugelegt haben. Diese Erwartung passt auch zu den Aussagen im aktuellen Monatsbericht der Bundesbank. Demnach stagniert das deutsche Bruttoinlandsprodukt „in etwa“. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Notenbank nicht mit einer Schrumpfung rechnet, wie sie manche Konjunkturforscher befürchten. Überraschungen sind natürlich niemals ausgeschlossen, aber eine Stagnation würde auch zur eingangs erwähnten Umfrage des Ifo-Instituts passen. Diese unterscheidet nämlich zwischen der aktuellen Lageeinschätzung und der Erwartung für die kommenden Monate. Während letzteres sehr deutlich eingebrochen ist, wird das aktuelle Umfeld von den deutschen Unternehmen als halbwegs stabil eingeschätzt.
Trotzdem sieht Ifo-Präsident Clemens Fuest Deutschland an der Schwelle zur Rezession. Hohe Energiepreise und drohende Gasknappheit belasten die Konjunktur. Hinzu kommt die galoppierende Inflation und höhere Zinsen. All diese Herausforderungen werden in den kommenden Monaten nicht kleiner werden.
Russland hat zwar nach zehntägiger Wartung den Betrieb der Gaspipeline Nord Stream 1 wiederaufgenommen. Der sofortige Lieferstopp ist damit zwar ausgeblieben, aber der Betreiber Gazprom liefert nur noch 20% der Kapazität statt wie zuvor 40%. Ob diese verringerte Menge reichen wird, um die deutschen Gasspeicher bis zum 1. November wie geplant auf 90% zu füllen, ist daher zweifelhaft. Auch andere EU Länder stehen vor diesem Problem. Bei einem Sondergipfel der EU-Energieminister wurde daher der Kommissionsvorschlag zum vorerst freiwilligen Energiesparen – mit zahlreichen Ausnahmeregeln – angenommen. Der Druck auf die Preise dürfte daher bis auf weiteres hoch bleiben. Auch die Händler sehen das so, und zwar auf Sicht der kommenden Jahre. Langfristige Lieferkontrakte für Gas mit Termin 2023 und 2024 notieren nahe ihrer Höchststände.
Hartnäckig hohe Energiepreise werden auch den Druck auf die Inflation aufrechterhalten. Die Bundesbank befürchtet sogar eine Beschleunigung des Preisauftriebes im September, wenn die temporären Maßnahmen der Politik wie das 9-Euro Ticket auslaufen. Die Risiken für den Inflationsausblick sind klar nach oben gerichtet.
Gleichzeitig steigen die Zinsen. Im Juli hat die EZB überraschend deutlich die Leitzinsen um 50 Basispunkte angehoben. Im September könnte eine Anhebung ähnlichen Ausmaßes anstehen, wie einige Notenbankratsmitglieder bereits betonen.
Neben all diesen Herausforderungen könnte auch das heiße und trockene Wetter zum Konjunkturrisiko werden. Der Rhein ist Deutschlands wichtigster Fluss für die Binnenschifffahrt. Rund 80% aller Güter, die per Binnenschiff transportiert werden, nehmen diesen Weg. Die Pegelstände am Rhein haben derzeit wieder einmal ein so niedriges Niveau erreicht, dass die Beförderung von wichtigen Industriegütern wie Kohle, Öl und chemische Produkte gestört werden. Dies wiederum hat negative Auswirkungen auf die für Deutschland so wichtige Industrieproduktion. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel schätzt, dass ein Monat mit niedrigen Pegelständen die Industrieproduktion zeitweise um 1% beeinträchtigt, was gleichbedeutend mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in diesem Monat um 0,25% wäre. Die Volkswirte bei Bloomberg rechnen damit, dass es die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal 0,2% Wachstum kosten würde, wenn das trockene und heiße Wetter von Mitte Juli bis Ende August anhält. Wenn dieser Zustand wie im Jahr 2018 bis November anhält, dann würden sich die Wachstumseinbußen im zweiten Halbjahr auf knapp 0,4% addieren.
Angesichts all dieser Risiken ist es kaum verwunderlich, das Analysten, Unternehmen und Haushalte zunehmend pessimistischer werden. Über kurz oder lang dürfte sich das auch im realen Wirtschaftsgeschehen niederschlagen. Wie die Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt am Freitag vermutlich zeigen werden, ist es noch nicht so weit. Ob das in der zweiten Jahreshälfte so bleiben wird, ist eine andere Frage.