Wie schon öfters in den vergangenen Wochen kontrastiert die tatsächliche Konjunkturentwicklung mit den Frühindikatoren. Ob Verbraucher, Finanzanalysten oder Unternehmen, alle Umfragen deuten zunehmend auf einen wirtschaftlichen Abschwung hin. Und doch expandiert die Wirtschaft unbeeindruckt von der schlechten Stimmung. Im Euroraum gewann das Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal 0,7% gegenüber dem Vorquartal. Analysten hatten nur mit einem mageren Plus von 0,2% gerechnet. In Deutschland stagnierte die Wirtschaft zwar. Doch gleichzeitig wurde die Schätzung für das vorangegangene Quartal recht deutlich von 0,2% auf 0,8% angehoben.
Schürft man etwas tiefer und betrachtet, welche Länder besonders positiv überraschen konnten, so sind dies insbesondere Italien, Spanien und auch Frankreich. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Länder im besonderen Maße vom auflebenden Tourismus profitieren konnten. Doch irgendwann ist der Sommer – leider – vorbei. Das Fahrwasser dürfte dann in der zweiten Jahreshälfte daher deutlich schwieriger werden.
Zum einen leiden die Konsumenten unter der hartnäckig hohen Inflation, wie die jüngsten Zahlen zum deutschen Einzelhandelsumsatz verdeutlichen. Dieser fiel im Juni um 8,8% im Jahresvergleich, was den größten je gemessenen Rückgang seit 1994 darstellt. Gleichzeitig stieg die EU-harmonisierte Inflationsrate im Juli unerwartet von 8,2% auf 8,5%. Wie wir schon öfters geschrieben hatten, droht im Herbst ein weiterer Anstieg, wenn die zeitlich befristeten Maßnahmen der Bundesregierung wie das 9-Euro Ticket auslaufen.
Hinzu kommt die Lage am Arbeitsmarkt. In Deutschland stieg die Arbeitslosenrate im Juli leicht um 0,1 Prozentpunkte auf 5,4%. Dies stellt aber noch kein Zeichen einer Eintrübung dar, sondern kann mit der Registrierung ukrainischer Flüchtlinge als Arbeitssuchende erklärt werden. Im Euroraum blieb die Arbeitslosenrate im Juni stabil bei ihrem Rekordtief von 6,6%. Doch die Zahl der Arbeitssuchenden stieg zum ersten Mal seit 14 Monaten auf nahezu 11 Millionen.
Häufig wird von Volkswirten (uns eingeschlossen) an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Haushalte ja über substantielle Ersparnisse verfügen, die sie während der Pandemie angehäuft hatten. Diese könnten nun eingesetzt werden, um Einkommensschwankungen und Kaufkraftverlust auszugleichen. Aber eine neue Studie der EZB dämpft diese Hoffnung. Die Analyse, die kommende Woche im Monatsbericht der Notenbank veröffentlicht wird, zeigt, dass nur ein Fünftel der befragten Haushalte in 2020 und 2021 ihr Sparpolster erhöht haben. Dies legt nahe, dass die Mehrheit der Konsumenten über keinen Puffer verfügen, um die stark gestiegenen Preise abzufedern.
Hinzu kommt das Damoklesschwert einer Gaskrise im kommenden Winter. Die Kommunen in Deutschland haben bereits begonnen, sich darauf einzurichten. In vielen Schwimmbädern wurde die Wassertemperatur verringert. In Berlin wird das Schloss Bellevue nachts nicht mehr beleuchtet. Das Bundeswirtschaftsministerium erlaubt, dass stillgelegte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen werden können, selbst eine Verlängerung der Laufzeit der letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland wird in der Ampelkoalition diskutiert. Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer erwägen 16% der befragten 3.500 Unternehmen, wegen der Energiekrise die Produktion zu drosseln oder bestimmte Tätigkeiten aufzugeben. Ob das alles ausreicht, ist aber fraglich. Die deutschen Gasspeicher sind zwar inzwischen zu nahezu 70% gefüllt. Die Bundesnetzagentur hat aber bereits gewarnt, dass ohne weitere Maßnahmen der Zielfüllstand von 95% zum 1. November vermutlich verfehlt wird.
Sollten sich die Anzeichen für einen Abschwung verdichten, wird dies auch Einfluss auf die Geldpolitik haben. Manche Analysten sehen eine tiefe und lange Rezession als nötig an, um die galoppierende Inflation in den Griff zu bekommen. Doch die Notenbanken selbst äußern sich zurückhaltender. So argumentierte der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, zuletzt, dass das künftige Tempo der Zinsanhebungen verlangsamt werden könnte. EZB Ratsmitglied Ignazio Visco warnte vor einem Abschwung in Europa und erklärte, dass in diesem Fall die Europäische Zentralbank diskutieren müsse, was dann zu tun sei. Sein Kollege Yannis Stouras sekundierte, dass im Falle einer Rezession die Leitzinsen eher fallen als steigen würden. Die Anleger an den Aktienmärkten hat diese Aussicht begeistert. Im Juli erlebten der europäische Markt und auch der amerikanische S&P 500 ihren jeweils besten Monat seit November 2020. Für die Mehrheit der Haushalte, die keine Aktien hat, aber mit einer steigenden Gasrechnung konfrontiert wird, dürfte diese Rally aber nur ein schwacher Trost sein.