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KW 32/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Die Aktienmärkte befinden sich in Lauerstellung, wie es mit der Konjunktur, der Inflation und damit der Geldpolitik weitergeht, denn die Signale aus der Wirtschaft zeigten sich in den letzten Tagen durchaus gemischt. Der US-Leitindex S&P 500 beendete die vergangene Woche im Wesentlichen dort, wo er sie begonnen hatte. Aktienhändler wägten dabei die Aussichten auf eine aggressivere geldpolitische Straffung durch die US-Notenbank Fed gegen Anzeichen ab, dass eine Rezession möglicherweise doch nicht unmittelbar bevorsteht.


Nachdem in den USA das Bruttoinlandsprodukt im 2. Quartal zum zweiten Mal geschrumpft ist, wird nun eifrig nach Anzeichen für einen Abschwung Ausschau gehalten. Die Wirtschaftstätigkeit in den USA hat sich jedoch im Juli gut gehalten. Der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe ging nur geringfügig zurück, was einem Zweijahrestief entspricht, aber über dem Schwellenwert liegt, der eine Kontraktion bedeuten würde. Der ISM-Dienstleistungsindex hellte sich dagegen unerwartet auf. Einem Bericht aus der Privatwirtschaft zufolge bleibt der Arbeitsmarkt intakt, und Entlassungen in großem Umfang haben bisher nicht begonnen. Auch der offizielle US-Arbeitsmarktbericht für Juli zeichnete ein positives Bild: Die Zahl der Beschäftigten stieg um 530.000, nachdem sie im Juni auf 400.000 nach oben korrigiert worden war. Also ist alles gut? Nicht ganz, denn es scheint sich etwas auf dem Arbeitsmarkt zu tun, da die Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung weiterhin leicht ansteigen (260.000) und die Zahl der offenen Stellen im Juni auf ein Neunmonatstief von 10,7 Mio. Stellen (von 11,3 Mio. im Mai) gefallen ist.


Für die Eurozone ergab eine EZB-Umfrage, dass die Verbraucher zunehmend pessimistischer über die Wirtschaft denken und dabei erwarten, dass die Inflation während der nächsten drei Jahre über 2% liegen wird. Die Haushalte könnten daher in den kommenden Monaten mit ihren Ausgaben zurückhaltend sein. Im Juni sanken die Einzelhandelsumsätze passend dazu unerwartet um 1,2% gegenüber dem Vormonat. Gleichzeitig zeigte sich aber eine Stimmungsumfrage unter Investoren zur Konjunkturentwicklung im Euroraum besser als erwartet, wenn auch auf sehr niedrigem Niveau. In Deutschland gab es auch Gutes zu vermelden: Hier hat sich die Industrie besser gehalten als erwartet. Die Auftragseingänge gingen weniger stark zurück als befürchtet (-0,4% auf Monatssicht), während die Produktion unerwartet um 0,4% auf Monatssicht anstieg. Außerdem stiegen die deutschen Exporte sprunghaft an, so dass sich der Handelsbilanzüberschuss von 0,9 Mrd. Euro im Mai auf 6,4 Mrd. Euro im Juni erhöhte.


Die durchaus auch negativen Meldungen aus der Wirtschaft, insbesondere mit Bezug auf die Stimmung, rufen sofort die Notenbanker auf den Plan. Diese sorgen sich nämlich weiterhin vor allem um die zu hohe Inflation. Auch wenn die Märkte schlechte Wirtschaftszahlen gern zum Anlass nehmen, auf langsamere Zinserhöhungen zu wetten, versuchen die Notenbanker das Bild einer weiterhin strafferen Geldpolitik zu zeichnen. So traten Fed-Vertreter den Erwartungen entgegen, dass die Zentralbank zu einer weniger aggressiven Phase der Straffung der Geldpolitik übergehen könnte, da es noch keine Anzeichen für ein Abflauen der Inflation gäbe. Die Präsidentin der Cleveland Fed, Loretta Mester, hielt daher den in den Wirtschaftsprognosen der Fed vom Juni skizzierten Zinspfad für „ungefähr richtig“. Ähnlich verhält sich die EZB. Sie solle die Zinsen weiter anheben, um zu verhindern, dass sich eine hohe Inflation einstellt, sagte EZB-Ratsmitglied Martins Kazaks jüngst.


Als letzte große Notenbank vor der Sommerpause hat die Bank of England (BoE) in der vergangenen Woche ihren Leitzins um 50 Basispunkte auf 1,75% hochgeschraubt, die stärkste Anhebung seit 1995. Die Inflation hat währenddessen ein 40-Jahres-Hoch erreicht und wird in den kommenden Monaten voraussichtlich weiter ansteigen. Die Zentralbank geht davon aus, dass die britische Wirtschaft bis 2024 in eine Rezession abrutschen und die Inflation im Oktober einen Höchststand von 13% erreichen wird, wenn die Energierechnungen der Haushalte erneut in die Höhe schnellen werden. Die englische Notenbank hatte bereits im Dezember begonnen, gegen die Inflation vorzugehen. Damals lag der Leitzins noch bei 0,1%.
In „normalen“ Zeit würde es seltsam erscheinen, dass eine Zentralbank einen derartigen Abschwung prognostiziert, während sie gleichzeitig ihre größte Zinserhöhung seit 1995 vornimmt. Denn im „Normalfall“ erhöhen Notenbanken ihre Zinsen in wirtschaftlichen Boomzeiten, wenn die Volkswirtschaft und damit die Inflation zu überhitzen drohen. Doch dieser ungewöhnliche Schritt unterstreicht die aktuelle Entschlossenheit der großen Zentralbanken, die Inflation zu bekämpfen. Das Ergebnis aus den aktuellen Äußerungen der Notenbanken scheint also zu sein, dass auch Hinweise für eine schwächere Wirtschaftsentwicklung im Moment kein Hindernis für weitere Zinserhöhungen darstellen. Sollten sich die konjunkturellen Aussichten aber weiter verschlechtern, wird es interessant werden, ob bzw. wann diese Entschlossenheit zur Inflationsbekämpfung ins Wanken kommt.