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KW 37/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Noch gibt es einige positive Nachrichten aus der Konjunkturentwicklung zu vermelden, insbesondere im Rückblick auf das bisherige Jahr. Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone wurde für das zweite Quartal von einer ersten Schätzung von 0,6% im Vergleich zum Vorquartal auf 0,8% nach oben revidiert, wobei die Revision eine stärkere Unterstützung durch Verbraucher- und Staatsausgaben erkennen ließ. Separaten Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat zufolge stieg die Beschäftigung im Berichtszeitraum um 0,4%, nach 0,3% im Vorquartal. Die Einzelhandelsumsätze in der Eurozone legten im Juli ebenfalls um 0,3% gegenüber dem Vormonat zu, nachdem sie im Vormonat noch um 1,0% gesunken waren. Anleger sind jedoch nach wie vor besorgt und befürchten eine drohende Rezession in den Wintermonaten: Die Sentix-Umfrage zum Anlegervertrauen fiel dementsprechend auf den niedrigsten Stand seit Mai 2020.
Die Aussichten für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland trübten sich hingegen weiter ein. Der Industriesektor zeigte sich im Juli relativ schwach. Wie bereits in der letzten Woche berichtet, gingen die Auftragseingänge in der Industrie im Juli um 1,1% im Monatsvergleich zurück, nachdem sie bereits 0,3% im Vormonat gesunken waren. Inzwischen wurden auch Daten zur Industrieproduktion veröffentlicht, die im Juli um 0,3% sank.
Nicht allzu überraschend wurden daher die BIP-Prognosen für Deutschland deutlich nach unten korrigiert. Die Konjunkturprognose des ifo-Instituts sieht für das kommende Jahr ein Schrumpfen der deutschen Wirtschaftsleistung um 0,3%. Für 2022 wird noch mit einem Wachstum von 1,6% gerechnet. „Wir gehen in eine Winterrezession“, erklärte der Leiter der ifo-Konjunkturprognosen, Timo Wollmershäuser. Auch das Institut für Weltwirtschaft (IfW) sieht Deutschland laut seiner Herbstprognose in eine Rezession abgleiten. Grund seien die hohen Energiepreise. Im kommenden Jahr werde das BIP voraussichtlich um 0,7% zurückgehen. Damit korrigierte das Institut seine bisherige Prognose drastisch um 4 Prozentpunkte nach unten. Im Juni hatte es noch ein kräftiges Plus von 3,3% erwartet.
Ähnlich, wenn auch etwas weniger pessimistisch, ist das Bild für den Euroraum. Bei ihrer Sitzung in der vergangenen Woche aktualisierte die Europäische Zentralbank neben ihrer Inflations- auch die Konjunkturprognose. Das Wirtschaftswachstum der Eurozone werde sich deutlich verlangsamen, erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Es sei mit einer Stagnation im späteren Jahresverlauf und dem ersten Quartal 2023 zu rechnen. Die EZB erwartet nun ein Wachstum von 3,1% für 2022. Angesichts der hohen Energiepreise und anhaltenden Problemen in den weltweiten Lieferketten wurde für das kommende Jahr die Prognose von 2,1% auf nun 0,9% gesenkt. Für 2024 sei mit einem Wirtschaftswachstum von 1,9% zu rechnen (zuvor 2,1%).
Gleichzeitig hob die Zentralbank ihre Inflationsprognosen deutlich an. Sie geht für 2022 nun von einer Teuerungsrate in der Eurozone von 8,1% aus. Noch im Juni lautete die Prognose 6,8%. 2023 werde die Inflation dann voraussichtlich bei 5,5% (Juni-Prognose: 3,5%) liegen und 2024 dann auf 2,3% (Juni-Prognose: 2,1%) sinken. Um die Inflation zu bekämpfen, hob die EZB auf ihrer September-Sitzung deshalb ihre drei wichtigsten Leitzinsen um 75 Basispunkte an. Damit signalisierte sie, dass die Inflationsbefürchtungen die Sorgen vor einem wirtschaftlichen Abschwung momentan noch überwiegen. Die EZB deutete an, dass auf den „nächsten Sitzungen“ weitere Anhebungen folgen werden, die die Zinssätze schließlich über ihr „neutrales Niveau“ hinausführen werden. Unter dem neutralen Niveau versteht man die Schwelle, ab der die Zinsen die Wirtschaftsentwicklung nicht mehr unterstützen, sondern dämpfen.
Ähnlich sieht dies Bundesbankpräsident Joachim Nagel. Die EZB werde die Zinsen weiter anheben müssen, wenn sich der aktuelle Trend bei den Verbraucherpreisen fortsetzt. „Im Laufe des Jahres 2023 dürfte sich das Inflationsbild etwas abschwächen“, sagte er. Dennoch dürfte die Rate „auf einem viel zu hohen Niveau von über 6% liegen“. Eine Anhebung der Zinssätze zur Bekämpfung des Inflationsdrucks könnte schwieriger werden, wenn die Eurozone in eine Rezession gerät, obwohl Herr Nagel sagte, die klare Herausforderung bestehe darin, „die Inflationsentwicklung wieder unter Kontrolle zu bekommen – und das ist meiner Meinung nach eine gemeinsame Überzeugung im EZB-Rat.“ Letztendlich seien stabile Preise viel wichtiger für das mittelfristige und langfristige Wachstum.
Die Geldpolitik in den USA bewegt sich indes auf dem gleichen Gleis. Der Vorsitzende der US-Fed, Jerome Powell, sagte, dass die Notenbanker im Kampf gegen die Inflation nicht nachlassen werden, was die Erwartungen auf eine dritte Zinserhöhung in Folge um bis zu 75 Basispunkte noch in diesem Monat erhärtete. Er wies darauf hin, dass die Geschichte vor einer voreiligen Lockerung der Geldpolitik warnt. Seine Kollegin, die stellvertretende Vorsitzende Lael Brainard, fügte hinzu, dass „die Geldpolitik noch einige Zeit restriktiv sein müsse, um das Vertrauen zu schaffen, dass sich die Inflation auf ihr Ziel zubewegt.“
Die geldpolitische Reise scheint also in der Eurozone und in den USA für die nächsten Monate klar in Richtung Zinserhöhungen weiterzugehen. Der Zug könnten jedoch auch abrupt zum Stillstand kommen. Ein Beispiel dafür sind einige osteuropäische Zentralbanken. Nachdem diese ihre Leitzinsen in den vergangenen Monaten stark angehoben haben, um die Inflation zu bekämpfen, verlangsamen sie aktuell ihr Zinserhöhungstempo bzw. haben diese ausgesetzt. Hintergrund sind die wachsenden Sorgen vor einer Rezession, was auch ein immer realistischeres Szenario für die Eurozone und insbesondere Deutschland wird. Irgendwann ist eben jede Reise zu Ende, vermutlich auch in der Geldpolitik.