Auch in dieser Woche stehen die geldpolitischen Entscheidungen der Notenbanken im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Europäische Zentralbank hat bereits vor zwei Wochen ungewöhnlich deutlich die Leitzinsen um 0,75 Prozentpunkte angehoben. Die Bank of England hatte wegen des Tods der britischen Königin Elisabeth II. ihre Sitzung auf den 22. September vertagt. Die amerikanische Federal Reserve wird ihre Zinsentscheidung bereits einen Tag davor, am 21. September, bekanntgeben. Beide Notenbanken werden ihren jeweiligen Leitzins wohl ebenfalls um 0,75 Prozentpunkte erhöhen, so die überwiegende Meinung der Marktteilnehmer.
Vor einigen Monaten noch wäre eine Zinsanhebung dieses Ausmaßes als außergewöhnlich erachtet worden. Jetzt sind es schon fast „normale“ Entscheidungen, so dass bereits gemutmaßt wird, ob es einen Zinsschritt von einem ganzen Prozentpunkt braucht, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Die Wahrscheinlichkeit für eine solche „historische“ Entscheidung wird mit 20% bis 25% taxiert, seitdem die Inflation in den USA weniger stark als erwartet gesunken ist. Im August belief sich die Teuerungsrate auf 8,3%, während Analysten im Vorfeld mit einem Rückgang auf 8,1% gerechnet hatten. Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass der Anstieg der wenig zyklischen Dienstleistungspreise den Rückgang der Energiepreise ausgeglichen hat. Diese Entwicklung lässt sich gut an der sogenannten Kernrate der Inflation festmachen, welche die Energie- und Nahrungsmittelpreise aus der Berechnung ausklammert. Dieses Inflationsmaß stieg von 5,9% im Vormonat auf 6,3%, so viel wie zuletzt im Jahr 1982.
Dass ein Zinsschritt von einem Prozentpunkt nicht völlig abwegig ist, zeigt auch die Entscheidung der schwedischen Notenbank zu Wochenbeginn. Diese erhöhte ihren Leitzins überraschend von 0,75% auf 1,75%. Mit diesem Schritt, den größten seit 30 Jahren, reagierte die Riksbank auf die Rekordinflation in Schweden von 9%. Trotz Rezessionssorgen will die Notenbank im kommenden halben Jahr die geldpolitischen Zügel weiter straffen, wie sie nach der Sitzung am 20. September signalisierte. Für 2023 rechnet sie mit einem Rückgang des schwedischen Bruttoinlandprodukts von 0,7%.
Welche Erwartungen die Fed bezüglich Inflation und Wachstum in den USA hegt, werden die Marktteilnehmer zusammen mit dem Zinsentscheid erfahren. Bisher zumindest waren die jüngsten Wachstumssignale überraschend positiv, was aber im Umkehrschluss den Druck auf die Teuerung erhöhen dürfte. Denn der Arbeitsmarkt zeigte sich in der vergangenen Woche weiter robust. Die Erstanträge zum Bezug von Arbeitslosengeld fielen die fünfte Woche in Folge und unterschritten sogar den Jahresdurchschnitt 2019. Dies zeigt, dass die Unternehmen an ihren Mitarbeitern so gut es geht festhalten. Und wer doch arbeitslos wird, findet, wenn er oder sie will, auch rasch wieder eine neue Stelle. Auch die Einzelhandelsumsätze stiegen im August unerwartet um 0,3% im Monatsvergleich und zeigten damit, dass trotz Rekordinflation die Konsumlaune ungebrochen ist.
Mehr Konjunktursorgen als die Fed muss sich die EZB machen. Hier spricht die Datenlage eine recht deutliche Sprache. Stimmungsindikatoren wie die monatliche Umfrage des ZEW Instituts sind im Keller und die Industrieproduktion leidet. Im Euroraum sank sie im Juli mit über 2% im Monatsvergleich etwa doppelt so stark wie erwartet. Die Volkswirte der Notenbank rechnen mit einer stagnierenden Wirtschaft zwischen dem dritten Quartal dieses Jahres und dem ersten Quartal 2023, wobei die Wachstumsrate zwischen -0,1% und + 0,1% schwanken soll.
Für Deutschland ist die Bundesbank ein Stück weit pessimistischer. Dort sehen die Fachleute vermehrt Anzeichen dafür, dass die heimische Wirtschaft in eine Rezession rutscht. Für das Winterhalbjahr sei mit einem merklichen Rückgang der Wirtschaftsleistung zu rechnen. Grund hierfür sind die hohe Inflation und die hohe Unsicherheit in Bezug auf die Energieversorgung und ihre Kosten. Bundesbankpräsident Joachim Nagel befürchtet, dass die Teuerung in den nächsten Monaten zweistellige Zuwächse verzeichnen könnte.
Trotz konjunktureller Sorgen überwiegt aus Sicht der EZB aber die Notwendigkeit, die ausufernde Inflation in den Griff zu bekommen. Zumal das derzeitige Niveau der Leitzinsen trotz Anhebung um einen halben Prozentpunkt im Juli und um 0,75 Prozentpunkte im September historisch betrachtet immer noch vergleichsweise niedrig ist, wie Ratsmitglied Madis Muller betont. Die Inflation zu verlangsamen brauche eben seine Zeit, und von einem Zinsniveau, welches die Wirtschaft tatsächlich abbremse, sei man noch weit entfernt. Von daher darf man sich auf weitere Zinsschritte gefasst machen. Bis zum Jahresende könnte der Leitzins bis auf 2% steigen, erklärte der Chef der französischen Notenbank. Wie es dann weitergeht, sei dann zu sehen.
Wie weit die Leitzinsen tatsächlich noch ansteigen müssen, wie lange sie so hoch bleiben sollen und was zu tun ist, wenn die Wirtschaft sich deutlicher als erwartet abschwächt – mit diesen Fragen werden sich die Notenbanken in 2023 noch häufig auseinandersetzen müssen. Die richtigen Antworten werden dazu beitragen, dass die Inflation auf mittlere Sicht wieder die 2% Marke erreichen kann, Fehlentscheidungen hingegen können die ohnehin angeschlagene Glaubwürdigkeit der Geldpolitik nachhaltig schwächen.