Einige Entwicklungen, die wir an dieser Stelle bereits seit einigen Wochen thematisieren, setzen sich weiterhin fort. Zum einen ist das die relative Resilienz der US-Wirtschaft, die sich bisher wacker gegen die hohe Inflation und die steigenden Zinsen stemmt. Zum anderen ist die europäische Wirtschaft zu nennen, die zunehmend lahmt und einer Rezession immer näherkommt. Und zuletzt wiederholt sich das Phänomen, dass die veröffentlichten monatlichen Inflationsdaten immer wieder für Überraschungen sorgen, da Marktbeobachter mit einem zu niedrigen Wert gerechnet haben.
So hat sich in den USA das Verbrauchervertrauen stärker als von Analysten erwartet aufgehellt. Die Verbraucher werden immer zuversichtlicher, da die niedrigeren Benzinpreise die Einschätzung ihrer Einkommensaussichten verbessern. Auch die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sind nach wie vor günstig, denn es gibt viele Arbeitsplätze und nur wenige Entlassungen. Der Rückgang sowohl bei den Erstanträgen auf Arbeitslosenunterstützung als auch bei den Anträgen auf fortgesetzte Arbeitslosenunterstützung zeigte erneut, dass sich Firmen angesichts des knappen Arbeitskräfteangebots zurückhaltend zeigen, wenn es darum geht, Arbeitnehmer zu entlassen. Unterdessen beschleunigte sich die Kerninflation in den USA (ohne Energie und Lebensmittel) im August von 4,7% auf 4,9%, wobei Analysten lediglich mit einem konstanten Wert von 4,7% gerechnet hatten. Dieses Inflationsmaß ist besonders wichtig, da es für die US-Notenbank Fed von zentraler Bedeutung für die Steuerung ihrer Geldpolitik ist.
Mitglieder des US-Notenbankrats erklärten daher, die Fed müsste die Zinsen weiter anheben, um die Preisstabilität wiederherzustellen. Dabei warnte der Präsident der Fed von St. Louis, James Bullard, dass die Glaubwürdigkeit der Notenbank auf dem Spiel stehe. Der Vorsitzende der Chicagoer Fed, Charles Evans, und Neel Kashkari aus Minneapolis sprachen sich für eine Rückführung der Inflation auf das 2%-Ziel aus und erklärten, die Zentralbank solle die prognostizierten Zinserhöhungen durchführen und die Zinsen dann auf diesem Niveau beibehalten, um den Preisdruck zu verringern.
Kämpferisch zeigte sich auch die Europäische Zentralbank. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte in ihrer Anhörung vor dem EU-Parlament, dass die EZB eine Verringerung ihrer Bilanz erst dann in Betracht ziehen wird, wenn sie die Normalisierung der Zinssätze abgeschlossen habe. Eine Anhebung der Leitzinsen sei derzeit das geeignetste und wirksamste Instrument, um die rekordhohe Inflation im Euroraum zu bekämpfen, fügte sie hinzu. Ihre Erklärung deutet darauf hin, dass sie weitere Zinserhöhungen erwartet, bevor das sogenannte Quantitative Tightening beginnt. Darunter versteht man eine Reduktion der Notenbankbilanz, indem beispielsweise zuvor gekaufte Staatsanleihen wieder aktiv verkauft werden und somit dem Markt Liquidität entzogen wird. Litauens Zentralbankgouverneur Geminidas Simkus sagte mit Blick auf eine kommende Zinserhöhung, dass 50 Basispunkte seine Mindesterwartung für die Oktobersitzung seien, 100 Basispunkte jedoch „jetzt zu viel“ seien und er 75 Basispunkte bevorzuge.
Anders als die US-Wirtschaft, zeigt sich die der Eurozone jedoch von ihrer schwachen Seite: Der Indikator für das Wirtschaftsvertrauen der Europäischen Kommission hat sich nämlich stärker als erwartet verschlechtert. Zumindest blieb per August die Arbeitslosenquote noch auf ihrem Rekordtief von 6,6%. Wie bereits angedeutet, überraschte die Inflation in der Eurozone erneut negativ. Die Zuwächse bei den Verbraucherpreisen stiegen von 9,1% im August auf 10,0% im September und übertrafen damit die Erwartungen von 9,7%. Dies entspricht dem höchsten jemals gemessen Wert, seit Bestehen der Eurozone.
Ähnlich ist das Bild in Deutschland: Die Verbraucherpreise legten hier laut Statistischem Bundesamt im September um 10,0% gegenüber dem Vorjahresmonat zu, nachdem sie im August lediglich um 7,9% gestiegen waren. Damit übertrafen die Daten erneut die Erwartungen der Analysten. Außerdem ist dies die höchste Teuerung seit 1951. Hintergrund ist insbesondere in Deutschland, dass im September einige Unterstützungsmaßnahmen wie das 9-Euro-Ticket und die Kraftstoffsubventionen ausgelaufen sind. Die steigenden Preise schlagen sich dementsprechend auf die Stimmung der Verbraucher nieder: Das Konsumklima der Deutschen fiel laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) auf ein neues Allzeittief. Während sich die meisten Komponenten verschlechterten, war der starke Rückgang der Einkommenserwartungen die Hauptursache für die Schwäche des Gesamt-Index. Zumindest zeigt sich der Arbeitsmarkt auch hierzulande noch robust: Im September ist die Arbeitslosenquote um 0,2 Prozentpunkte auf 5,4% gefallen. Dies ist ein positives Zeichen für den Arbeitsmarkt, da ein schwieriger Winter bevorstehen könnte.
Trotz dieser „Regelmäßigkeiten“ in den Beobachtungen bleiben die Märkte weiterhin sehr nervös. Zu sehen war das insbesondere während der vergangenen Tage in Großbritannien, wo das Pfund deutlich an Wert verloren hat und die Zinsen auf Staatsanleihen zwischenzeitlich explodiert sind. Hintergrund war eine Ankündigung über Steuerentlastungen und Unterstützungsmaßnahmen seitens der britischen Regierung, die laut Ansicht vieler Investoren und Ökonomen nicht ausreichend gegenfinanziert sind. Das ließ das Vertrauen in die britische Politik und Volkswirtschaft abrupt einbrechen. Die englische Zentralbank musste sogar im Markt intervenieren und kauft nun wieder britische Staatsanleihen auf. „Sollte die Dysfunktion auf diesem Markt anhalten oder sich verschlimmern, bestünde ein erhebliches Risiko für die Finanzstabilität des Vereinigten Königreichs“, so die Bank of England. Auf diese Maßnahme hin erholte sich das englische Pfund wieder und die Zinsen auf britische Staatsanleihen gaben nach.
Noch mussten die amerikanische Notenbank Fed und die EZB kein derartiges Manöver starten, um die Märkte zu beruhigen und sie wieder von ihrer Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Sollten die Inflationszahlen aber weiterhin regelmäßig negativ überraschen, während die Wirtschaft aufgrund der hohen Inflation und Zinsen schwächelt, könnten die Märkte durchaus auch hier noch nervöser werden. Dann wäre die Volatilität an den Märkten, die wir in den letzten Wochen und Monaten gesehen haben, noch lange nicht vorbei und die Zentralbanken wären auch hier auf den Plan gerufen.