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KW 43/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Bezüglich zweier Fragen dürften Marktteilnehmer und sonstige Interessierte am Ende dieser Woche etwas mehr Klarheit haben. Erstens, hat die Rezession in Deutschland wohlmöglich bereits begonnen? Und zweitens, wie sich die EZB die Umsetzung ihrer Geldpolitik in der nächsten Zeit vorstellt.


Was die erste Frage angeht, so besteht bei Finanzexperten, Verbrauchern, Volkswirten und Unternehmen wenig Zweifel. So rechnen die vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) befragten Finanzmarktexperten recht deutlich mit einer Rezession in Deutschland. Das Umfragebarometer des ZEW befindet sich weiterhin in der Nähe der Tiefstände des Jahres 2008, also dem Jahr als die globale Finanzkrise die Schlagzeilen beherrschte.


Das Konsumentenvertrauen befindet sich auf einem historischen Tiefpunkt, wie die Gesellschaft für Konsumforschung im vergangenen Monat berichtet hatte. Die neuen Umfrageergebnisse, welche am 27. Oktober zur Veröffentlichung anstehen, werden an diesem Bild wenig ändern.
Die von der Nachrichtenagentur Bloomberg monatlich befragten Volkswirte sehen die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in Deutschland bei 90%, der Rückgang der wirtschaftlichen Leistung in 2023 könnte 0,5% ausmachen. Dies wäre historisch betrachtet eine vergleichsweise kleine Konjunkturdelle. In früheren Rezessionen fiel der konjunkturelle Einbruch durchaus massiver aus.


Auch unternehmensseitig überwiegt die schlechte Stimmung. Laut S&P Global hat der Abschwung sich zu Beginn des vierten Quartals beschleunigt. Der vielbeachtete Einkaufsmanagerindex sank mehr als erwartet auf einen Wert von 44.1. Dies war der sechste Rückgang in Folge, seit Juli befindet sich der Index unterhalb der Marke von 50 und signalisiert damit eine Rezession. Nicht besser sieht es bei der Umfrage des Ifo Instituts aus. Demnach steht die deutsche Wirtschaft vor einem schweren Winter, eine Rezession sei kaum mehr vermeidbar.


Etwas mehr Gewissheit wird man am 28. Oktober haben, wenn das Bundesstatistikamt seine erste Schätzung abgibt, wie sich das Bruttoinlandsprodukt im dritten Quartal entwickelt hat. Von den knapp dreißig von Bloomberg befragten Volkswirte rechnen 20 mit einem Rückgang zwischen 0,1% und 0,6%. Der Rest erwartet im besten Fall einen Anstieg von 0,2%. Details, wer den größten Anteil am erwarteten Rückgang hatte – ob privater Konsum, Investitionen oder die Nettoexporte, wird man erst in ein paar Wochen wissen. Klar ist aber bereits jetzt, dass die anhaltend hohe Teuerung eines der Hauptprobleme darstellt.


Die Inflation dürfte in Deutschland im Oktober weiter angestiegen sein, nachdem sie im Euroraum mit 9,9% ein neues Rekordhoch markiert hatte. Die von Bloomberg befragten Analysten rechnen mit einem Anstieg auf 10,1%. Im Vormonat waren es 10,0% gewesen. Auf EU-harmonisierter Basis dürfte die Teuerung erneut 10,9% ausgemacht haben. Die Mitteilung hierzu wird am 28. Oktober veröffentlicht.


Anhaltend hohe Inflation könnte dazu führen, dass auch auf mittlere Sicht ein zunehmender Teil der Marktteilnehmer dauerhaft eine Inflation oberhalb des EZB-Ziels von 2% erwartet wird. Jedes Quartal veröffentlicht die Notenbank eine Umfrage, in der Finanzexperten unter anderem zu ihren mittelfristigen Inflationserwartungen befragt werden. In den vergangenen Quartalen ist der Anteil derjenigen, die längerfristig mit zu hoher Inflation rechnen, von 5% auf knapp 20% gestiegen. Ob dieser Anteil weiter angestiegen ist, wird man von der EZB ebenfalls am 28. Oktober erfahren.
Höhere Inflationserwartungen können auch Ausdruck sein, dass das Vertrauen in die Notenbank gesunken ist. Um diesen eventuellen Vertrauensverlust entgegenzutreten, wird die EZB am 27.10 ihre geldpolitischen Entscheidungen verkünden. Allgemein wird erwartet, dass die Leitzinsen zum zweiten Mal um 75 Basispunkte angehoben werden. Der Einlagensatz würde dann bei 1,5% notieren.


Wie es dann weitergeht, darüber herrschen unterschiedliche Meinungen. Die von Bloomberg befragten Volkswirte rechnen mit einer schrittweisen Erhöhung des Einlagensatzes auf 2,5%. Am Geldmarkt wird ein Leitzins von über 3% eingepreist. Aus Sicht des belgischen Notenbankchefs Pierre Wunsch wären diese 3% ein „vernünftiges“ Niveau. Andere Notenbankmitglieder sind etwas zurückhaltender. Die spanische Notenbank sieht den Zinshochpunkt eher bei 2,25% bis 2,5%. Ratsmitglied Mario Centeno sorgt sich, dass die EZB im schlimmsten Fall zurückrudern müsse, wenn sie die Leitzinsen zu stark anhebt. Welche dieser Sichtweisen derzeit höher im Kurs steht, wird man hoffentlich nach der EZB Ratssitzung am 27. Oktober wissen.


Die Bankenwelt wird sicherlich auch stark daran interessiert sein zu erfahren, ob es zu einer Anpassung der Konditionen bei den sogenannten „gezielten langfristigen Offenmarktgeschäften“ (TLTROs, oder „Targeted Long-Term Refinancing Operations“) kommt. Diese waren ursprünglich eingeführt worden, um die Kreditvergabe anzukurbeln. Doch seitdem die Leitzinsen so schnell erhöht worden sind, fragt sich die EZB, ob die Zinskonditionen dieser TLTROs nicht zu großzügig sind. Eine nachträgliche Änderung könnte sich als juristisch schwierig erweisen, doch laut Marktberichten ist die Notenbank zuversichtlich, dass eine solche möglich ist.


Und schließlich könnte die EZB Hinweise darauf geben wie der Abbau der aufgeblähten Notenbankbilanz von statten gehen könnte. Im Rahmen ihrer Kaufprogramme hat die EZB fast 5 Bio. Euro an Anleihen auf ihre Bilanz genommen. Die Reduzierung dieser Bilanz dürfte Jahre dauern und könnte im ersten Quartal nächsten Jahres beginnen.
Bis zum Ende dieser Woche dürften die Marktteilnehme also etwas mehr Klarheit haben bezüglich dieser beiden zentralen Fragen – wie es mit der deutschen Wirtschaft und der Geldpolitik der EZB weitergeht. In solch bewegten Zeiten wie wir sie derzeit erleben, ist wenigstens dies ein positiver Ausblick.