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KW 44/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Wie bereits in der Vorwoche an dieser Stelle beschrieben, haben Marktteilnehmer in den vergangenen Tagen bezüglich zweier Fragen zumindest etwas mehr Klarheit erhalten. Erstens, wurde die Frage beantwortet, ob die Rezession in Deutschland bereits begonnen hat. Und zweitens, hat die EZB bei ihrer Sitzung ihre Geldpolitik aktualisiert.
So wuchs in Deutschland das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im dritten Quartal unerwartet um 0,3% gegenüber dem Vorquartal und verzögerte damit die Rezession, die von Analysten aufgrund der steigenden Inflation und der kriegsbedingten Energiekrise immer noch erwartet wird. Das Wachstum wurde vor allem durch den privaten Konsum angetrieben, so das Bundesamt für Statistik. Dies steht im Gegensatz zur Verbraucherstimmung, die in diesem Monat auf ein neues Allzeittief fiel. Die Geschäftserwartungen stabilisierten sich derweil im Oktober, wie das Münchner Ifo-Forschungsinstitut mitteilte. Dennoch „ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir eine Rezession vermeiden werden“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Währenddessen hat sich die Inflation in Deutschland im Oktober unerwartet beschleunigt und folgt damit einem Trend, der bereits in Frankreich und Italien zu beobachten war und der den Druck auf die Europäische Zentralbank erhöhen wird, die Zinssätze zu erhöhen, selbst wenn eine Rezession droht. Die deutschen Verbraucherpreise stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 11,6% (EU-harmonisierter Wert) und übertrafen damit die Erwartungen, deren Prognose bei 10,9% lag. Vergleichbare Werte wurden in Westdeutschland zuletzt in den frühen 1950er Jahren verzeichnet.
Die Inflation in der Eurozone ist im Oktober sogar auf ein neues Allzeithoch gestiegen, während die Wirtschaft des Euroraums an Schwung verloren hat. Die Verbraucherpreise stiegen im Oktober im Vergleich zum Vorjahr um 10,7% und lagen damit über dem in einer Umfrage erwarteten Wert von 10,3%. Gleichzeitig verlangsamte sich im dritten Quartal das Wirtschaftswachstum im Vergleich zu den vorangegangenen drei Monaten auf 0,2% – höher als von Analysten geschätzt, aber deutlich weniger als der zwischen April und Juni verzeichnete Anstieg von 0,8%. Da die Energiekrise weiterhin Unternehmen und Haushalte in Mitleidenschaft zieht, wird allgemein erwartet, dass die Expansion im Winter den Rückwärtsgang einlegen wird.
Wie erwartet verdoppelte die EZB aufgrund der anhaltend hohen Inflation ihre Leitzinsen. Der Einlagensatz liegt nun bei 1,5% und damit auf dem höchsten Stand seit mehr als einem Jahrzehnt. Die Zentralbank erklärte, dass sie mit „weiteren“ Anhebungen der Kreditkosten rechne, ließ jedoch einen früheren Hinweis auf weitere Erhöhungen für „mehrere Sitzungen“ fallen. Die Geldmärkte reduzierten daraufhin ihre Wetten auf eine Straffung der Geldpolitik und rechneten damit, dass der Einlagensatz im nächsten Jahr einen Höchststand von unter 2,75% erreichen würde. Noch in der Vorwoche wurde ein Höchststand von über 3,25% erwartet. Die EZB verschärfte außerdem die Bedingungen für die mehr als 2 Bio. Euro an ultrabilligen Krediten aus der Pandemiezeit für Banken (bekannt als TLTROs). Darüber hinaus senkte sie die Zinsen für die Reserven, die die Banken bei der EZB halten müssen, damit diese den Einlagensätzen entsprechen.
Auch in den USA gab es eine kleine Überraschung: Nach zwei negativen Quartalen stieg das BIP im 3. Quartal wieder um 2,6% verglichen mit dem Vorquartal (berechnet auf Jahresbasis). Die Verbraucherausgaben verlangsamten sich jedoch auf 1,4% und erreichten damit den zweitniedrigsten Wert seit der Pandemieerholung. Während die Ausgaben der privaten Haushalte für Dienstleistungen zunahmen, schrumpften die Ausgaben für Waren das dritte Quartal in Folge. Die Wohnungsbauinvestitionen gingen stark zurück und schmälerten das BIP-Wachstum um 1,4 Prozentpunkte, da die Zinssätze für 30-jährige Hypothekendarlehen auf 7% gestiegen sind. Die Signale für das vierte Quartal sind jedoch beunruhigend. Der S&P Global Composite Einkaufsmanagerindex fiel den vierten Monat in Folge auf 47,3, was auf ein erhöhtes Risiko eines Rückgangs im vierten Quartal hindeutet.
Die amerikanische Notenbank Fed hat indes die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sie eine sanfte Landung der Wirtschaft herbeiführen kann. Unter einer „sanften Landung“ versteht man die Vermeidung einer Rezession, während die Leitzinsen angehoben werden, um die Inflation zu bekämpfen. Aber zum ersten Mal in den Umfragen vor der Fed-Sitzung, die in dieser Woche stattfindet, hält eine Mehrheit der Ökonomen (75%) eine Rezession in den nächsten zwei Jahren für wahrscheinlich, und die meisten anderen sehen eine harte Landung mit einer Periode von Null- oder Negativwachstum voraus.
Diese Woche steht also die amerikanische Fed (neben der Bank of England) im Fokus der Aufmerksamkeit: Die Vertreter der US-Notenbank werden bei ihrer Sitzung in dieser Woche vermutlich an ihrer resoluten Haltung festhalten und den Grundstein dafür legen, dass die Zinssätze bis März 2023 auf 5% steigen, so die von Bloomberg befragten Wirtschaftsexperten. Eine Zinssenkung durch die Zentralbank wird indes nicht vor 2024 erwartet. Ein Ende der hohen Inflationsraten und der darauf reagierenden Geldpolitik scheint also noch nicht in greifbarer Nähe.