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KW 45/21 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Seitdem die Leitzinsen bei null Prozent oder tiefer angekommen sind, ist die sogenannte „Forward Guidance“ ein wichtiges Instrument der Geldpolitik geworden. Mit diesem können Notenbanken ihre zukünftigen geldpolitischen Absichten kommunizieren. Die EZB verwendete Forward Guidance zum ersten Mal im Juli 2013. Damals teilte sie mit, dass sie für längere Zeit von niedrigen Leitzinsen ausgeht.

Im Idealfall erreicht eine Notenbank mit dieser Art der Kommunikation, dass Markteilnehmer die zukünftige Geldpolitik schon heute berücksichtigen, was die Wirksamkeit der Politik erhöht und spätere Marktturbulenzen verhindert. Das dies nicht immer gelingt, zeigt die als „Taper Tantrum“ bezeichnete heftige Reaktion der Märkte im Mai 2013, nachdem der damalige Fed Vorsitzende Ben Bernanke bekannt gegeben hatte, die Anleihenkäufe der US-Notenbank zu reduzieren.

Jerome Powell, der seit 2018 die Geschicke der US-Notenbank leitet, hatte bislang mit seiner Kommunikationsstrategie mehr Erfolg. Nachdem die Fed monatelang die Marktteilnehmer auf eine Reduktion der Anleihenkäufe vorbereitet hatte, war es keine große Überraschung, als es nun endlich soweit war. Letzte Woche verkündete der Offenmarktausschuss (FOMC), dass die Fed Mitte November mit dem Tapering beginnen wird. Jeden Monat sollen die Käufe um USD 15 Mrd. verringert werden, so dass im Juni 2022 das Programm beendet werden kann. Der Markt quittierte die Ankündigung unmittelbar mit einem kleinen Kursanstieg am Aktienmarkt, während die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen nur minimal anstieg.

Wie geht es nun mit der US-Geldpolitik weiter? Auch hierbei bemüht sich die Notenbank um Transparenz. Die alle drei Monate veröffentlichten Projektionen der Fed Mitglieder zeigen, dass die Geldpolitiker gespalten sind, ob es schon in 2022 oder erst im darauffolgenden Jahr den ersten Zinsschritt geben soll. Richard Clarida, der stellvertretenden Vorsitzenden der Fed, sieht schon Ende nächsten Jahres die Voraussetzungen als gegeben, um die Leitzinsen anzuheben. Entscheidend für das Timing wird die Entwicklung am Arbeitsmarkt und die Inflation sein.

Nachdem es einige Monate lang so aussah, als ob die Erholung am US-Arbeitsmarkt an Schwung verlieren würde, hat sich das Bild nun deutlich aufgehellt. Vergangenen Freitag wurden für den Oktober 531.000 neue Stellen gemeldet. Volkswirte hat mit deutlich weniger gerechnet. Gleichzeitig wurde die Zahl für den Vormonat auf 312.000 nach oben korrigiert. Zudem sank die Arbeitslosenrate von 4,8% auf 4,6%. Im Juni hatte der entsprechende Wert noch 5,9% betragen. Bis Jahresende 2022 könnte die Arbeitslosenrate weiter auf 3,8% fallen, stellt Herr Clarida in Aussicht, was seiner Vorstellung von Vollbeschäftigung entsprechen würde.

In Punkto Inflation erwartet die Fed, dass der Preisanstieg sich ab dem nächsten Jahr beruhigen wird. Die Verbraucher sind diesbezüglich allerdings etwas pessimistischer. Laut Umfrage der New Yorker Fed rechnen die Haushalte mit einer Inflation von 5,7% auf 12-Monatssicht. Dies entspricht dem höchsten Wert seit Beginn dieser Umfrage im Jahr 2013. Sollten die Verbraucher mit ihrer Erwartung recht bekommen und die Inflation hartnäckig hoch bleiben, steigen die Chancen, dass es schon in der zweiten Jahreshälfte 2022 den ersten Zinsschritt geben wird. Auf jeden Fall dürften sich die Marktteilnehmer sicher fühlen, dass sie mittels „Forward Guidance“ frühzeitig auf diese Entwicklung eingestimmt werden.

Das diese Sicherheit trügerisch ist, zeigte die Bank of England. Die Kommunikation der Notenbank ließ viele Markteilnehmer mit einem ersten Zinsschritt Anfang November rechnen. Doch dieser blieb letzte Woche aus, angesichts der Unsicherheit, wie es am britischen Arbeitsmarkt weitergeht, nachdem das Kurzarbeiterprogramm im September ausgelaufen ist. Als Reaktion auf den ausgebliebenen Zinsschritt verbuchten britische Staatsanleihen deutliche Gewinne. Doch die Freude der Anleger dürfte nur kurz währen. Denn die allerneuesten Daten des britischen Statistikamts zeigen, dass 87% der Kurzarbeiter seit September wieder in reguläre Arbeit zurückgefunden haben. Sollten die übrigen 13%, rund 150.000 Personen, arbeitslos bleiben, so würde das nur zu einem kleinen Anstieg der Arbeitslosenrate führen. Dieser würde zudem geringer ausfallen würde, als es die Bank of England selbst erwartet hatte. Damit dürfte der Weg frei sein, im Dezember die Leitzinsen anzuheben.

Schwierigkeiten mit der Forward Guidance erlebt auch die EZB. Die Markteilnehmer rechnen mit einem Zinsanstieg schon in 2022, obwohl die Notenbank nicht müde wird zu betonen, dass der Preisanstieg vorübergehend sei und mittelfristig das Inflationsziel verfehlt wird. Auch diese Woche betonte Christine Lagarde, die Präsidentin der Notenbank, dass die derzeit höhere Inflation „transitorisch“ sei. Chefvolkswirt Philip Lane sekundierte mit seiner Feststellung, dass eine restriktivere Geldpolitik „kontra-produktiv“ sei. Im Gegenteil, eine lockere Geldpolitik sei von Nöten, da die Inflation auf mittlere Sicht immer noch zu niedrig ist. Dafür spricht, dass es am Arbeitsmarkt immer noch ungenützte Kapazitäten gibt, und dass die jüngsten Lohnabschlüsse, etwa in Deutschland und in Italien, moderat ausgefallen sind.

Ob sich die Marktteilnehmer davon überzeugen lassen werden und ihre Erwartungen über die zukünftige Geldpolitik der EZB korrigieren, ist eine andere Sache. Wenn Ende November die neuen Inflationszahlen für die Eurozone veröffentlicht werden, könnte das den Zweiflern neuen Auftrieb verleihen. In den USA stehen diese Zahlen bereits in dieser Woche zur Veröffentlichung an. Analysten rechnen mit fast 6% Preisanstieg, dem höchsten Wert der vergangenen 30 Jahre. Setzt sich diese Entwicklung auch hierzulande fort, so könnte es die EZB sein, die sich gezwungen sieht ihre Forward Guidance anzupassen.