Man konnte die Erleichterung an den Finanzmärkten geradezu spüren: In den USA ist im Oktober die Verbraucherpreisinflation stärker als erwartet auf 7,7% gesunken, während sie im Vormonat noch um 8,2% gestiegen war. Damit verzeichneten die Verbraucherpreise den geringsten Anstieg in diesem Jahr. Lange hatte man in den vergangenen Monaten darauf gehofft, dass der Höhepunkt der Inflation erreicht ist. Beobachter wurden aber immer wieder enttäuscht, wenn die veröffentlichten Daten erneut nach oben überraschten. Sollte sich nun dieser neue Abwärtstrend fortsetzen, könnte dies der US-Notenbank Fed ermöglichen, das Tempo ihrer Zinserhöhungen zu verringern. Passend dazu äußerten sich vier Fed-Vertreter, dass das Tempo der Zinserhöhungen gedrosselt werden sollte, betonten aber gleichzeitig, dass die Geldpolitik straff bleiben müsse. Die jüngsten Inflationsdaten seien „eine willkommene Erleichterung, aber es liegt noch ein langer Weg vor uns“.
Entsprechend erfreut reagierten die Finanzmärkte. US-Aktien verzeichneten am Donnerstag, dem Tag der Veröffentlichung der Inflationsdaten, den stärksten Anstieg seit mehr als zweieinhalb Jahren. Über die Woche betrachtet legte der US-Leitindex S&P 500 um stolze 7,2% zu. Aktienmärkte mögen generell hohe Zinsen nicht, da in einem Hochzinsumfeld andere Anlageformen, wie z.B. Anleihen, attraktiver gegenüber Aktien werden. Die Euphorie schwappte sogar bis nach Europa: Die europäischen Aktienmärkte registrierten die beste Woche seit März dieses Jahres.
Ähnlich war die Stimmung auf anderen Märkten: Nach der Veröffentlichung der Inflationsdaten fiel die Rendite der zweijährigen US-Staatsanleihe, die besonders empfindlich auf geldpolitische Weichenstellungen reagiert, um 0,25 Prozentpunkte auf 4,33% und verzeichnete damit den größten Rückgang seit Oktober 2008. Die Rendite der 10-jährigen Anleihe fiel um 0,27 Prozentpunkte auf 3,82% und verzeichnete damit den stärksten Rückgang seit März 2020. Auch die europäischen Anleiherenditen fielen, wobei die Zinsen auf 10-jährige italienische Staatsanleihen 31 Basispunkte niedriger waren als in der Vorwoche. Schließlich erlebte der US-Dollar seine schlechteste Woche seit dem Beginn der Covid-Pandemie, da die niedrigere Inflation Hoffnungen auf geringere Zinserhöhungen in den USA weckte. Dadurch verringert sich nämlich die Zinsdifferenz zwischen den USA und anderen Währungsräumen, was die Nachfrage nach US-Dollar dämpft und damit den Dollarkurs schwächt.
Nachdem es in den USA erste Zeichen für ein Abflauen der Inflation gibt, stellt sich die Frage, ob auch in der Eurozone der Höhepunkt der Preissteigerungen bald erreicht sein könnte. Die Europäische Kommission geht in ihrem Herbstgutachten davon aus, dass sich die derzeit zweistellige Inflation in der Eurozone nur langsam abkühlt. Die Verbraucherpreise in der Eurozone werden demnach von 8,5% im Jahr 2022 auf durchschnittlich 6,1% im nächsten Jahr und 2,6% im Jahr 2024 zurückgehen. Anders ausgedrückt: Selbst im Jahr 2024 wird die Inflation das EZB-Ziel von 2% übersteigen, was die Notenbank weiter unter Druck setzt.
Drei hochrangigen Vertretern der EZB zufolge muss die Zentralbank die Zinsen daher möglicherweise auf ein Niveau anheben, das die Wirtschaft bremst, um die Preise unter Kontrolle zu bringen. Ein „neutrales“ Level wird nicht ausreichen, um die Rekordinflation zu zähmen, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit einer Rezession im Euroraum steigt“, erklärte Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel. Die EZB hat bereits in drei Sitzungen die Zinssätze um 200 Basispunkte angehoben, die aggressivste Straffung der Geldpolitik in ihrer Geschichte.
Der Inflationsdruck in der Eurozone dürfte sich in den kommenden Monaten zudem etwas abkühlen, da die sich abkühlende Konjunktur die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpft, was sich auf die Preise auswirkt. So rechnet die Europäische Kommission für das nächste Jahr kaum noch mit einem Wirtschaftswachstum. Es wird erwartet, dass die Wirtschaft sowohl im 4. Quartal 2022 als auch im 1. Quartal 2023 schrumpfen wird, da die erhöhte Unsicherheit, die hohen Energiepreise, das schwächere außenwirtschaftliche Umfeld sowie die straffere Geldpolitik die meisten Mitgliedstaaten in die Rezession treiben wird. Deutschland wird 2023 laut EU-Kommission sogar um 0,6% schrumpfen, mehr als jedes andere Mitglied der Eurozone. Für den Währungsraum prognostiziert die Kommission im nächsten Jahr ein mageres Wachstum von lediglich 0,3%.
Ganz so schlimm könnte es vielleicht doch nicht kommen. So zeigten sich die Einzelhandelsumsätze und die Industrieproduktion in der Eurozone laut jüngsten Daten solide. Auch die Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) fiel deutlich positiver aus als erwartet. Insbesondere die Erwartungen über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung verbesserten sich hier deutlich. Die Stimmung scheint also aktuell schlechter zu sein, als es die harten Zahlen aus der Wirtschaft bisher anzeigen. Das könnte sich aber schnell ändern. Die Inflationsentwicklung wird hierbei eine zentrale Rolle spielen. Sollten die Energiepreise erneut stark anziehen und die Preissteigerungen weiterhin überraschend hoch ausfallen, könnte es mit der Euphorie an den Märkten schnell vorbei sein, denn dann werden die Notenbanken ihre Zügel wohl nochmals deutlich anziehen müssen.