Der Wiederanstieg der Coronavirus-Infektionen in Europa mit den damit verbundenen strengeren Eindämmungsmaßnahmen erhöht erneut die Unsicherheit über die wirtschaftliche Erholung, während die Inflation weiterhin hoch ist. Die jüngsten Daten aus der Wirtschaft spiegeln diese dynamische Entwicklung bisher nur eingeschränkt wider. Vielmehr sind es die Inflationssorgen und die Lieferengpässe, die das Bild prägen. Außerdem beeinflusst die Diskussion über ein Zurückfahren der ultra-lockeren Geldpolitik, insbesondere in den USA, die Märkte.
In der Eurozone hat sich die Stimmung der Verbraucher im November deutlich eingetrübt. Das Barometer der EU-Kommission für das Verbrauchervertrauen fiel stärker als von Ökonomen erwartet und liegt nur noch knapp über dem Vorkrisenniveau. Auf die Laune der Verbraucher drückten laut Umfrage insbesondere die stark steigenden Preise: Die Inflation im Euroraum lag im Oktober bei 4,1% und ist damit so hoch wie seit über 13 Jahren nicht mehr. Laut EZB-Direktorin Isabel Schnabel ist der Gipfel jedoch noch nicht erreicht: Im November sei mit der höchsten Teuerungsrate seit Einführung des Euro zu rechnen. Ermutigend zeigten sich dagegen die Einkaufmanagerindizes. Der Wert für das verarbeitende Gewerbe stieg im November überraschend an, und das bei anhaltenden Produktionseinschränkungen. Da der Indexwert für den Dienstleistungssektor ebenfalls anstieg, kletterte die Gesamtumfrage fast wieder auf ihr Septemberniveau.
Das Umfrageinstitut Markit stellte jedoch auch fest, dass Deutschland weiterhin der Erholung hinterherhinkt. Der Rest der Eurozone verzeichnete im November nämlich ein stärkeres Wachstum. In Deutschland legte der entsprechende Index hingegen nur leicht zu, da die Wirtschaft weiterhin mit starkem Gegenwind aufgrund von Lieferengpässen und dem jüngsten Corona-Ausbruch zu kämpfen hat. Markit betonte allerdings den robusten deutschen Unternehmensoptimismus und die Neueinstellungen aufgrund der „Hoffnung auf eine Erholung der Nachfrage sowie ein Ende der Versorgungsprobleme“. Passend zur schleppenden Erholung in der Umfrage prognostiziert die Deutsche Bundesbank eine „Wachstumspause“ im Winter. Die Geschäftserwartungen sind laut der Bank angesichts von Versorgungsengpässen und einem Wiederaufleben der Corona-Fälle gesunken. Sie geht jedoch davon aus, dass die Wirtschaft gegenüber der Pandemie widerstandsfähiger sein wird als bei früheren Wellen.
Auch der französische Zentralbankgouverneur François Villeroy de Galhau nimmt an, dass die europäische Wirtschaft die neuste Pandemiewelle aufgrund der hohen Impfraten und der Anpassung an die Pandemie überstehen kann. Er fügte hinzu, dass das Notfall-Anleihekaufprogramm im März auslaufen wird, sagte aber, dass einige Entscheidungen möglicherweise nicht auf der Dezembersitzung des EZB-Rats getroffen werden, um sich eine gewisse Handlungsfreiheit zu erhalten. Er hält den derzeitigen Inflationsanstieg größtenteils für vorübergehend, nimmt aber die Lieferengpässe ernst und beobachtet die Lohnentwicklung. Unabhängig davon warnte der niederländische Zentralbankgouverneur Klaas Knot davor, dass die derzeitigen Angebotsschocks möglicherweise nicht von kurzer Dauer sind.
In den USA hat sich die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe im November verbessert, worauf regionale Umfragen in New York und Philadelphia bereits hingedeutet hatten. Dies wurde im landesweiten Einkaufmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe bestätigt, der wie erwartet im November leicht zulegen konnte. Der Dienstleistungsbereich überraschte dagegen negativ. Hier ging der Umfragewert entgegen eines erwarteten Anstiegs zurück. Das Wachstum in der USA bleibt somit zwar robust, hat im November jedoch leicht nachgelassen. Als Ursachen wurden die Lieferengpässe und der Arbeitskräftemangel genannt. Das Wachstum liege jedoch weiterhin über dem langjährigen Durchschnitt vor der Pandemie, da sich die Unternehmen weiterhin darauf konzentrieren, ihre Kapazitäten zu erhöhen, um die steigende Nachfrage zu befriedigen, sagte der leitende Ökonom des Umfrageinstituts Markit. „Die US-Wirtschaft läuft weiterhin heiß“, fügte er hinzu.
Aufgrund der stark steigenden Preise und der positiven wirtschaftlichen Entwicklung in den USA mehren sich die Stimmen bei der US-Notenbank Fed, schneller aus der ultra-lockeren Geldpolitik auszusteigen. Der stellvertretende Vorsitzende der Notenbank, Richard Clarida, deutete an, dass die Zentralbank früher als erwartet Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation ergreifen könnte. Anfang November hatte die Fed mit dem Abbau ihrer monatlichen Wertpapierkäufe in Höhe von 120 Mrd. Dollar begonnen und hatte erklärt, dass sie beabsichtige, diese Käufe jeden Monat um 15 Mrd. Dollar zu reduzieren. Das würde bedeuten, dass die Käufe bis Mitte nächsten Jahres ganz eingestellt sein werden. Die Fed hatte bei ihrem letzten Treffen jedoch gesagt, dass sie bereit sei, das Tempo der Drosselung anzupassen, „wenn Änderungen der Wirtschaftsaussichten dies rechtfertigen“. Herr Clarida bekräftigte nun seine Ansicht, dass er ein „Aufwärtsrisiko“ für die Inflation sieht und ein „sehr starkes“ Wachstum im vierten Quartal 2021 erwartet. Eine mögliche schnellere Rücknahme des Anleihekaufprogramms könnte den Weg für frühere Zinserhöhungen ebnen. Unterstützt wurde diese Auffassung von Fed-Gouverneur Christopher Waller, der sagte, er würde ein schnelleres Auslaufen des Programms bevorzugen, was der Zentralbank mehr Flexibilität geben würde, um die Zinssätze „wenn nötig“ anzuheben. Als US-Präsident Joe Biden am Anfang dieser Woche Jerome Powell für eine zweite Amtszeit als Vorsitzender der US-Notenbank nominierte, wurde dies als Zeichen dafür interpretiert, dass der US-Präsident einen möglichen Kurswechsel der Zentralbank zur Bekämpfung der steigenden Inflation befürwortet, da Herr Powell als ein eher konservativer Geldpolitiker gilt.
Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung findet in einem sehr dynamischen Umfeld statt. Die stark steigenden Infektionszahlen mit erneuten Eindämmungsmaßnahmen in Europa, die weiterhin bestehenden Lieferengpässe, die hohe Inflation und der Ausstieg der Zentralbanken aus dem Krisenmodus stellen eine komplexe Situation dar. Welchen Einfluss die vierte Welle des Coronavirus haben wird, wird sich in den nächsten Wochen zeigen, wenn die jüngsten Maßnahmen in die Umfragen vermehrt eingehen. Die Wirtschaft hat, wie die Aussagen der Notenbanker bekräftigen, nach den bisherigen Wellen gelernt, besser mit dem Virus umzugehen. Inwiefern das den Aufschwung dieses Mal beeinträchtigt, bleibt offen.