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KW 48/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Schon seit einiger Zeit hat die amerikanische Notenbank Fed angedeutet, dass es an der Zeit sein könnte, das Tempo bei den Zinsanhebungen zu verringern. Im Verlauf dieses Jahres hatte die Notenbank ihre Leitzinsen von knapp über 0% auf ein Band von 3,75% bis 4% angehoben. Dies entspricht dem höchsten Stand der vergangenen 15 Jahre. Doch nun ist es offiziell. Wie in den Protokollen der letzten Notenbanksitzung zu lesen war, will die Mehrheit der Ratsmitglieder das Ausmaß der Zinserhöhungen von zuletzt 0,75% auf 0,5% verlangsamen. Grund dafür sei die Annahme, dass die Inflation ihren Höhepunkt überschritten hat, während die Inflationserwartungen weiterhin gut verankert sind. Mit „verankert“ meint die Fed, dass die Öffentlichkeit weiterhin daran glaubt, dass die Teuerung auf mittlere Sicht zum Inflationsziel von 2% zurückkehren wird. Dürfen wir hierzulande nun ebenfalls darauf hoffen, dass die EZB in Zukunft weniger stark an der Zinsschraube drehen wird?
Anders als in den USA, hat die Inflation der Eurozone ihren Höhepunkt noch nicht gesehen. In Amerika stiegen die Konsumentenpreise im Oktober um 7,7%, nachdem wenige Monate zuvor im Juni der Preisanstieg mit 9,1% den höchsten Stand der vergangenen 40 Jahre erreicht hatte. Währenddessen kletterte die Inflation des Euroraums im Oktober auf ein Rekordhoch von 10,6%. Die von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragten Analysten rechnen für den Monat November mit einem geringeren Preisanstieg von 10,4%. Ob dem so ist, wird das europäische Statistikamt Eurostat am 30. November berichten. Falls ja, wäre das ein möglicherweise gewichtiges Argument für die EZB, nach zwei Zinsanhebungen in Folge von je 0,75% das Tempo auf 0,5% zu verlangsamen. Die nächste geldpolitische Entscheidung steht am 15. Dezember an.
Allerdings gibt sich EZB Präsidentin Christine Lagarde zu Beginn dieser Woche bei einer Anhörung im EU Parlament eher vorsichtig. Sie sei nicht optimistisch, dass die Inflation im Euroraum bereits ihren Höhepunkt hinter sich hat. Es würde sie überraschen, wenn das Durchreichen der hohen Energiepreise von der Großhandelsebene auf die Endkunden schon abgeschlossen wäre. Zudem sähen die EZB Ökonomen die Inflationsrisiken als „aufwärts gerichtet“. Nicht zuletzt ging aus dem Protokoll der letzten Notenbanksitzung, welches in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, hervor, dass die Ratsmitglieder sich um die zugrundeliegende Inflation Sorgen machen. Damit ist gemeint, dass die Teuerung auch jenseits von Energie- und anderen Rohstoffpreisen problematisch erscheint.
Neben der Inflation achten die Notenbanken auch sehr genau auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt. So lange dieser angespannt bleibt, könnten schnell wachsende Löhne den Anstieg der Konsumentenpreise beschleunigen oder zumindest ein Nachlassen des Preisdrucks verhindern. In den USA zeigen die Erstanträge zum Bezug von Arbeitslosengeld seit einigen Wochen nach oben. Zuletzt erreichte die Zahl den höchsten Stand der vergangenen drei Monate. Dies könnte ein Hinweis sein, dass sich die Lage am amerikanischen Arbeitsmarkt etwas entspannt. Dies würde auch zu den prominenten Medienberichten passen, die über Entlassungen im Technologiesektor berichten. Zudem steht am 2. Dezember der offizielle Arbeitsmarktbericht an. Analysten rechnen damit, dass sich die Zahl der neugeschaffenen Stellen im November weiter verringert hat. In Europa sind die Informationen zum Arbeitsmarkt weniger reichlich vorhanden als auf der anderen Seite des Atlantiks. Doch das, was man weiß, spricht für ein arbeitnehmerfreundliches Umfeld. Denn im September stand die Arbeitslosenrate des Euroraums noch auf einem Rekordtief von 6,6%. Für den Oktober wird mit einem unverändert tiefen Wert gerechnet, wenn Eurostat die Zahl am 1. Dezember berichtet.
Diese Unterschiede zwischen den USA und Europa in Punkto Inflation und Arbeitsmarkt zeigen, dass die eingangs gestellte Frage für die EZB schwierig zu beantworten ist. Während die Sachlage es der Fed einfach macht, das Tempo der Zinsanhebungen zu verringern, ist der Notenbankrat der Währungshüter in Frankfurt deutlich gespaltener. Einige wie Vizepräsident Luis de Guindos befürworten einen kleineren Zinsschritt. Denn er geht davon aus, dass die Eurozone in den Winterquartalen sehr wahrscheinlich schrumpfen und die Teuerung zu Beginn des neuen Jahres nachlassen werde. Andere Ratsmitglieder warnen vor einem solchen Schwenk. So hält es Isabel Schnabel für voreilig, das Tempo der Zinsanhebungen zu verringern, so lange die Inflation auch weiterhin eine Gefahr darstellt. Weitere Zinsschritte seien nötig, damit die Teuerung zum mittelfristigen Inflationsziel so schnell wie möglich zurückkehrt und Zweitrundeneffekte ausbleiben. Unter diesen Zweitrundeneffekten versteht man einen Teufelskreis von steigender Inflation, der zu höheren Löhnen führt, was wiederum die Inflation weiter anstiegen lässt.
Sollte sich die EZB im Dezember zu einem kleineren Zinsschritt durchringen, dürfte sich die Diskussion darauf verlagern, wie sehr die Zinsen noch steigen müssen und wie lange sie auf diesem hohen Niveau verbleiben müssen. Einige Ratsmitglieder wie der Niederländer Klas Knot und sein estnischer Kollege Madis Mueller warnen bereits davor, zu früh den Sieg über die Inflation zu erklären und mit der Verschärfung der Geldpolitik vorzeitig aufzuhören. Wie auch immer die Zinsentscheidung der Frankfurter Währungshüter am 15. Dezember ausfällt. Langweilig wird es uns Beobachtern der Geldpolitik im neuen Jahr sicher nicht werden.