Hotline:  089 588 055 491

KW 5/22 – Unser Chefvolkswirt kommentiert

Diese Woche tagen Europas größte Notenbanken am gleichen Tag. Doch der geldpolitische Kurs zwischen der Bank of England und der EZB könnte nicht unterschiedlicher sein. In London wird Gouverneur Andrew Bailey voraussichtlich den Leitzins ein weiteres Mal anheben, diesmal von 0,25% auf 0,50%. Es wäre das erste Mal seit 2004, dass die britische Notenbank ihren Leitzins in zwei aufeinanderfolgenden Sitzungsterminen erhöht. Für Christine Lagarde dürfte es hingegen noch eine ganze Weile dauern, bevor sie überhaupt den ersten Zinsschritt der EZB kommunizieren muss.

 

Aus wirtschaftlicher Sicht hat sich die Eurozone bisher trotz Omikron wacker geschlagen. Im vierten Quartal verbuchte das Bruttoinlandsprodukt ein kleines Plus von 0,3% und lag damit im Rahmen der Markterwartungen. Insbesondere Spanien, Frankreich und Italien überraschten mit positiven Meldungen zum vergangen Quartal. In diesen drei Ländern verbuchte die Wirtschaft ein beachtliches Wachstum von jeweils 2,0%, 0,7% und 0,6% im Vergleich zum Vorquartal. Schlusslicht der großen Euroraumländer war hingegen Deutschland, mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung von 0,7%. Wie das Statistische Bundesamt ausführte, erklärt sich der Einbruch in Deutschland vor allem mit der Zurückhaltung der Verbraucher, aber auch mit rückläufigen Bauinvestitionen.

 

Auch im laufenden Quartal sind in Deutschland keine großen Impulse seitens des Konsums zu erwarten. Zum einen blieb im Februar die Verbraucherstimmung gedämpft, wie die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) berichtete, wenn auch nicht so gedrückt wie befürchtet. Zum zweiten belastest nach wie vor die hohe Inflation. Im Januar stiegen die Verbraucherpreise immer noch um 4,9% im Jahresvergleich. Dies war zwar weniger als die 5,3%, die im Vormonat gemeldet wurden, aber deutlich mehr als Analysten erwartet hatten. Mitverantwortlich dürften die stark gestiegenen Energiepreise sein. Diese waren um mehr als 20% höher als noch vor einem Jahr. In Spanien überraschte die Inflation ebenfalls mit einem kleiner als erwarteten Rückgang der Inflationsrate im Januar. Wenn sich diese Serie negativer Überraschungen fortsetzt, dürfte auch im Euroraum die Inflation weniger deutlich als erwartet gesunken sein. Analysten rechnen mit einem Rückgang auf eine Rate von 4,4%, nach dem Rekordwert von 5,0% im vergangenen Dezember.

 

So ist es wenig überraschend, dass die hohe Inflation weiterhin die größte Sorge der Marktbeobachter darstellt, wie eine aktuelle Umfrage des Finanzdienstleisters Bloomberg zeigt. Dieser zufolge glaubt nur eine knappe Mehrheit von 56% der Befragten, dass die Inflation in 2023 unter die 2% Marke fallen wird. An den Finanzmärkten steigt daher die Erwartung, dass es trotz der wiederholten Dementi aus Frankfurt bereits in diesem Jahr die erste Zinserhöhung geben wird. Demnach würde am Jahresende der Einlagensatz statt bei derzeit -0,50% bei -0,25% stehen.

 

Im Vorfeld der anstehenden EZB Sitzung am 3. Februar haben sich daher eine Reihe von Ratsmitgliedern der Notenbank zur Wort gemeldet. So wies Chefvolkswirt Philip Lane darauf hin, dass die Löhne bisher nicht stark auf die hohe Inflation reagiert hätten. Der litauische Notenbankchef mahnte, dass eine Eskalation des Konflikts zwischen der Ukraine und Russland der europäischen Wirtschaft erheblich schaden könnte.

 

Trotz der beschwichtigenden Worte sollten sich Anleger nicht zu sicher sein, dass die EZB an ihrer Linie eisern festhalten wird. Drei Dinge könnten eine Kursänderung erzwingen. Zum einen könnte die Inflation wiederholt überraschen und wie schon im Januar höher als erwartet ausfallen. Je länger dies der Fall wäre, desto schwerer wird es der EZB fallen, glaubhaft zu machen, dass das Ziel von 2% Inflation auf mittlere Sicht tatsächlich erreicht werden kann. Ein sprunghafter Anstieg der Energiepreise, etwa im Fall eines Einmarsches russischer Truppe in der Ukraine, würde ausreichen, um den erwarten Rückgang der Inflation zunichte zu machen. Dies wäre auch dann der Fall, wenn Angebotsengpässe länger als vermutet anhalten und deshalb sich die Güterpreisinflation verstärkt.

Zweitens könnte der Lohndruck zunehmen. In Großbritannien und den USA hat der leergefegte Arbeitsmarkt dazu geführt, dass die Löhne im Durchschnitt um etwa 3% bzw. 5% steigen. Im Euroraum hingegen betrug das Lohnwachstum im dritten Quartal 2021 nicht mehr als 1,4%. Mit der Zeit könnte es auch hierzulande zu Zweitrundeneffekten kommen.

 

Und schließlich könnte ein schwacher Euro für anhaltend hohe Inflation sorgen. Je mehr andere bedeutende Notenbanken wie die Fed oder die Bank of England an der Zinsschraube drehen, desto größer wird der Zinsabstand zum Euroraum. Anlagen im Ausland werden dadurch attraktiver, was wiederum zur Abwertung der Einheitswährung führen könnte. Im Ergebnis würden die Importpreise stärker anziehen, und schließlich auch die Verbraucherpreise.

 

Angesichts dieser Unwägbarkeiten bleibt abzuwarten, wie sich die EZB zu den Markterwartungen äußert. Bleibt sie ihrer Linie treu, so sollte sie Zinsanhebungsphantasien in diesem Jahr energisch entgegentreten. Verzichtet sie darauf (womit wir nicht rechnen), würde dies signalisieren, dass die Befürworter einer weniger lockeren Geldpolitik (die sogenannten Falken), an Gewicht gewonnen haben.