Kurz nachdem die jüngste Sitzung der Europäischen Notenbank am 3. Februar geendet hatte, ist schon die Diskussion über die Deutungshoheit darüber entbrannt. Einerseits hat Frau Lagarde eine Zinsanhebung schon in 2022 nicht mehr ausschließen wollen. Seitdem spekulieren die Finanzmärkte darauf, dass der Einlagensatz von derzeit -0,5% bis zum Jahresende wieder bei null liegen könnte. Anderseits betonen EZB Offizielle, Frau Lagarde eingeschlossen, dass die Notenbank „graduell“ und mit Bedacht die Geldpolitik anpassen werde.
Bei einer Anhörung vor dem Europäischen Parlament erklärte die EZB Präsidentin, dass die Geldpolitik wenig ausrichten kann, um Pipelines mit Gas zu füllen, Stau in Häfen aufzulösen oder LKW-Fahrer auszubilden. Stattdessen gilt das Augenmerk der Notenbank der Inflation in der mittleren Frist. In diesem Sinne argumentierte auch der finnische Notenbankchef Olli Rehn. Statt energisch auf die heutige Inflation zu reagieren und damit das Wachstum abzuwürgen, sei es besser, auf die Inflationsprognosen für 2023 und 2024 zu schauen.
Diese mittelfristigen Prognosen sehen, trotz der derzeit rekordhohen Inflation, moderat aus. So geht die Europäische Kommission in ihrem Winterausblick davon aus, dass die Inflation im Euroraum im kommenden Jahr bereits wieder auf 1,7% zurückgefallen sein wird. Ob es tatsächlich so kommt, hängt maßgeblich von der Lohnentwicklung ab. Denn dauerhaft hohe Preissteigerungsraten können dazu führen, dass Arbeiternehmer auch in Zukunft hohe Inflationsraten erwarten und daher höhere Löhne als Ausgleich fordern. Außerdem können sie bewirken, dass Firmen auch zukünftig von hohen Einkaufspreisen ausgehen und daher die Verkaufspreise anheben, um ihre Gewinnmarge zu bewahren. Die Konsequenz wäre eine selbsterfüllende Prophezeiung, bei der die Erwartung hoher Inflation die Preisentwicklung weiter anfeuert.
Auf den ersten Blick sieht es aber nicht danach aus. Wie Olli Rehn und andere aus den Reihen der EZB regelmäßig betonen, ist die Lohnentwicklung immer noch maßvoll. Dauerhaft hohe Inflation sei daher nicht zu erwarten. Doch diese Erwartung könnte sich als trügerisch erweisen. Wie letzte Woche berichtet, deutet eine Umfrage der EZB vom Januar darauf hin, dass Unternehmen im Euroraum mit Lohnzuwächsen von rund 3% rechnen. Das wäre etwa doppelt so viel wie in 2021. Von daher wäre es wichtig, dass die Notenbank ihre Bereitschaft signalisiert, die Geldpolitik falls nötig anzupassen.
Dies erklärt, warum beispielsweise der neue Chef der Bundesbank, Joachim Nagel, aber auch sein niederländischer Kollege Klas Knot, auf ein baldiges Ende der Wertpapierkäufe und für eine Zinsanhebung noch in diesem Jahr plädieren. Der richtige Zeitpunkt, hierfür die Weichen zu stellen, wäre die nächste Sitzung der EZB am 10. März. Bis dahin wäre vermutlich geklärt, ob der Konflikt an der ukrainischen Grenze weiter eskaliert, ob die Energiepreise weiter hoch sind und wie gut die Wirtschaft den „Omikron Schock“ verdaut hat.
Eine behutsame Anpassung der Geldpolitik zur rechten Zeit könnten die Volkswirtschaft und auch die Finanzmärkte vermutlich problemlos verdauen. Dafür spricht beispielsweise die Entwicklung des Stimmungsbarometers des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung für Deutschland. Dieses konnte sich im Februar – trotz Trommelwirbel an der ukrainischen Grenze und drohenden Zinsschritten in den USA, Großbritannien und Euroraum – weiter verbessern.