Das Coronavirus scheint vielerorts immer besser unter Kontrolle zu sein. Die positive Entwicklung erlaubt in vielen Ländern eine gestaffelte Aufhebung der Eindämmungsmaßnahmen. Vor diesem Hintergrund prognostizieren führende Institute die schrittweise Erholung der Weltwirtschaft im zweiten Halbjahr und im Verlauf des nächsten Jahres. Sicher scheint, dass eine solche Belebung der Weltwirtschaft nur den beispiellos großen finanziellen Hilfspaketen zu verdanken ist.
Deutsch-französischer Vorstoß
Neben zahlreichen nationalen Hilfspaketen, die in den letzten Wochen und Monaten geschnürt wurden, gibt es nun einen weiteren sehr beachteten Vorschlag: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollen einen europäischen Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 500 Mrd. Euro (3,6% des EU-27 BIPs) realisieren. Dieser Fonds würde neben dem EU-Haushalt ein zusätzliches Instrument verkörpern. Er soll vor allem Staaten wie Spanien und Italien helfen, die wirtschaftlich empfindlich von der Pandemie getroffen wurden. Ein zentraler Punkt des deutsch-französischen Vorstoßes: Aus dem Wiederaufbaufonds sollen Zuschüsse vergeben werden und keine Kredite. Ziel ist, dass durch die Gewährung von Zuschüssen die Schuldentragfähigkeit einzelner Länder nicht gefährdet wird – dies wäre bei Inanspruchnahme von Kreditlinien aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) der Fall. Ansonsten würden Länder mit bereits hohen Schuldenständen über zu geringe Konjunkturpakete verfügen, um eine übermäßige Schuldenlast zu vermeiden. Sollten die entsprechenden Volkswirtschaften nicht ausreichend unterstützt werden, könnte es zu dem fatalen negativen Effekt ungleicher ökonomischer Entwicklungen in Europa kommen.
Alternative der „sparsamen Vier“
Die Mittel des Wiederaufbaufonds soll die EU von den Kapitalmärkten beziehen. Im Detail ist geplant, dass die Finanzierung des Fonds über Anleihen der EU-Kommission abgewickelt wird. Diese sollen dann später von den Mitgliedsstaaten getilgt werden – abhängig von ihren jeweiligen Beiträgen zum EU-Haushalt. Jedoch ist der Wiederaufbaufonds zurzeit erst im Stadium eines Vorschlags. Denn die Umsetzung des Hilfspaketes kann das deutsch-französische Gespann nur gemeinsam mit den anderen 25 Staats- und Regierungschefs bei einem der nächsten EU-Gipfel entscheiden. Die letzte Woche zeigte bereits sehr unterschiedliche Ansichten der EU-Mitgliedsstaaten über die richtigen europäischen Instrumente zur wirtschaftlichen Stabilisierung. So verwundert nicht, dass der Vorschlag von Merkel und Macron auf Widerspruch stößt. Kritiker befürchten, dass der Wiederaufbaufonds nichts anderes als eine Vergemeinschaftung der Schulden verkörpert. Daher setzen sich die „sparsamen Vier“ – Schweden, Dänemark, Österreich und die Niederlande – für eine Alternative ein. Bei ihrem Vorschlag handelt es sich zwar auch um einen Fonds. Allerdings soll dieser Notfallfonds eine zeitliche Frist von zwei Jahren beinhalten. Österreichs Bundeskanzler Kurz erklärt dazu: „Wir wollen eine zeitliche Befristung, damit es wirklich eine Corona-Soforthilfe ist und nicht eine Schuldenunion durch die Hintertür bewirkt“. Der zentrale Unterschied zwischen der Alternative der „sparsamen Vier“ und Merkels sowie Macrons Wiederaufbaufonds: Die Hilfsgelder sollen hier nicht als Zuschuss, sondern in Form von Krediten vergeben werden. Jedoch gibt es mittlerweile auch Signale zur Kompromissbereitschaft. So äußerte Österreichs Kanzler Kurz, dass er offen sei, Teile der Hilfsgelder als direkte Zuwendung zu verteilen. Bislang wurde eine solche Position von den „sparsamen Vier“ kategorisch abgelehnt.
Kritische Verteilungsfragen
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die genaue Verteilung der Gelder. Eine Analyse des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) kommt zu den Schlussfolgerungen: Würde beispielsweise das Geld nach Schwere der Rezession verteilt, dann erhielte Deutschland den größten Teil – in diesem Szenario ca. 107,3 Mrd. Euro. Primär, weil Deutschland die größte Volkswirtschaft Europas ist. Betrachtet man jedoch die Höhe der einzelnen Landes-Hilfspakete in Relation zur jeweiligen Wirtschaftsleistung, würden die südeuropäischen Länder besonders „profitieren“. So erhielte beispielsweise Griechenland den größten Anteil. Denn der große Tourismussektor in Griechenland leidet besonders stark unter der Pandemie. Daher trifft Covid-19 die Wirtschaft Griechenlands empfindlich. Sie würde in diesem Szenario Zahlungen in Höhe von 8,8 Mrd. Euro erhalten. Dies entspräche ca. 4,7% der Wirtschaftsleistung Griechenlands. Für Italien, Kroatien und Spanien fielen die Hilfsgelder in Relation zu ihrer Wirtschaftsleistung ähnlich hoch aus.
Ein Hilfspaket für die Solidarität
Ob der Wiederaufbaufonds von Merkel und Macron reale Gestalt annimmt, bleibt eine offene Frage. Angesichts der massiven Einwände ist die Umsetzung des Plans keineswegs sicher. Es wird daher abzuwarten sein, wie die Staats- und Regierungschefs auf ihren Gipfeltreffen entscheiden werden. Ungeachtet des Ausgangs ist der Vorschlag eines europäischen Wiederaufbaufonds jedoch ein klares Zeichen von Merkel und Macron an die europäische Solidarität – die durch die Coronakrise eine starke Belastung erfuhr. So wäre dieser Wiederaufbaufonds nicht nur ein Hilfspaket für die stark gebeutelte Wirtschaft Europas, sondern auch ein Hilfspaket für die europäische Solidarität.