Dr. Klaus Härtl
Economist
Rishi Sunak wurde am Dienstag zum neuen Premierminister Großbritanniens ernannt. Damit wird er der dritte Regierungschef des Jahres 2022 werden, nachdem sowohl Boris Johnson als auch Liz Truss in diesem Jahr nach politischen bzw. wirtschaftlichen Turbulenzen zurückgetreten sind.
Nicht einmal zwei Monate hatte Herrn Sunaks Vorgängerin, Liz Truss, durchgehalten. Auslöser war vor allem die Ankündigung von Steuersenkungen i.H.v. 45 Mrd. Pfund am 23. September. Das Paket schlug solch hohe Wellen, insbesondere an den Finanzmärkten, dass die Wirtschaftspolitik von Frau Truss bereits eine eigene Bezeichnung in Anlehnung an ihren Nachnamen und dem englischen Wort für Ökonomie „Economics“ in der Presse erhielt: Trussonomics.
Die Finanzmärkte waren beunruhigt, da die Steuersenkungen nicht gegenfinanziert waren und über Schulden finanziert werden sollten. In der Folge stiegen die Zinsen auf Staatsanleihen stark an. Die Preise der britischen Staatsanleihen fielen deutlich, da die Anleger befürchteten, dass die angekündigten Steuersenkungen und Energiesubventionen Großbritannien auf einen „instabilen“ finanzpolitischen Kurs bringen würden. Dadurch stiegen beispielsweise die 5-Jahres-Zinsen auf britische Staatsanleihen um über einen Prozentpunkt innerhalb nur weniger Tage. Gleichzeitig fiel das britische Pfund auf ein Allzeittief gegenüber den US-Dollar.
Als Reaktion darauf nahm die bisherige Regierung einige Ankündigungen wieder zurück. Die Aussichten für die Fiskalpolitik haben sich seit dem 23. September daher komplett gedreht, um das Vertrauen der Finanzmärkte zurückzugewinnen. So wurden die angekündigten Steuersenkungen durch Sparmaßnahmen ersetzt. Außerdem wurde der Zeitraum, in dem die Energierechnungen der Haushalte gedeckelt werden, auf sechs Monate gekürzt. Ursprünglich sollte dies für zwei Jahre gelten.
Wirtschaftlich gesehen, hat seit der angekündigten Steuerreform die britische Wirtschaft damit drei Schocks erlebt: ein drastischer Anstieg der Kapitalmarkzinsen, ein Wechsel von fiskalischer Unterstützung hin zu Sparmaßnahmen, sowie eine Verringerung der Energiekostenunterstützung für Haushalte. Der gescheiterte Plan von Frau Truss könnte die britische Wirtschaftskraft somit bis nächstes Jahr um ca. 1,5% verglichen mit dem Trend vor der Ankündigung reduziert haben.
Der neue Premierminister Rishi Sunak ist sich dieser Situation bewusst und versprach seinem Land bei seiner Antrittsrede mehr Stabilität in einer „ernsthaften Wirtschaftskrise“. Dafür müssten jedoch auch „schwierige Entscheidungen“ getroffen werden. Nachdem klar war, dass Herr Sunak neuer Premierminister werden würde, fielen die Zinsen auf britische Staatsanleihen, was als eine gewisse Entspannung der Situation gedeutet werden kann. Hintergrund ist, dass die Märkte es für wahrscheinlich halten, dass Herr Sunak die von Finanzminister Jeremy Hunt geplante Straffung der Fiskalpolitik weitgehend unterstützt und damit den Druck auf die englische Zentralbank verringert, die Zinssätze aggressiv anzuheben, um die Inflation einzudämmen.
Die Bank of England merkte jedoch an, dass die staatlichen Kreditkosten immer noch höher als vor der Steuerreform vom 23. September seien. Außerdem hätten sich die Märkte noch nicht beruhigt, „was auf politische Ereignisse, aber auch auf die Unsicherheit über die monetären und fiskalischen Aussichten zurückzuführen sei“.
Daher herrscht an den Märkten weiterhin eine gewisse Spannung vor. Wie bereits von der Vorgängerregierung angekündigt, soll am 31. Oktober ein mittelfristiger Finanzplan vorgelegt werden, der darlegt, wie die Regierung ihre Finanzen in den Griff bekommen und den Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt senken will. Sollte der Plan veröffentlicht werden, wird es entscheidend sein, ob die Investoren der britischen Regierung wieder Vertrauen schenken werden.
Wenn Herr Sunak den aktuellen Plan mit begleitenden Prognosen des Office for Budget Responsibility, der unabhängigen Behörde zur Begutachtung der Haushaltspläne, also bestätigt, wird die Bank of England drei Tage Zeit haben, um die Auswirkungen vor ihrer nächsten Zinsentscheidung zu bewerten. Ihre nächste Zinssitzung steht bereits am 3. November an. Da der Druck, aggressiv zu handeln, nachlässt, wird die Notenbank wahrscheinlich weniger tun, als zu Hochzeiten der Finanzmarktturbulenzen befürchtet worden ist.
Noch gibt es nicht viel Klarheit darüber, welche längerfristigen Ziele Herr Sunak genau verfolgen wird. Dabei steht er vor drei großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Erstens muss er Großbritannien angesichts der hohen Gaspreise und Energieknappheit durch den anstehenden Winter führen. Unter Premierministerin Liz Truss wurden allgemeine Preisobergrenzen für Haushalte und Subventionen für Unternehmen eingeführt. Diese Maßnahme läuft jedoch im April aus, weswegen eine Anschlusslösung gefunden werden muss, die zielgerichteter sein soll. Wenn die Preisobergrenzen jedoch fallen, könnte die Inflation wieder ansteigen, was die Bank of England wiederum auf den Plan rufen würde. Die Abwägung für den neuen Premier besteht also darin, einen Weg zu finden, eine gezielte Unterstützung zu gewähren, ohne höhere Zinssätze zu provozieren.
Eine weitere Herausforderung ist es, die Glaubwürdigkeit in die britische Fiskalpolitik wiederherzustellen. Durch die gestiegenen Zinsen seit der Ankündigung am 23. September dürften sich allein die Zinskosten bis 2025 um 20 Mrd. Pfund pro Jahr erhöhen. Nun, da die Zinsen wieder etwas gesunken sind, dürfte das Haushaltsloch zwar kleiner ausfallen, jedoch ist es bei weitem noch nicht geschlossen. Auch wenn beispielsweise die Gewinnsteuer nun steigen soll, schätzt der Nachrichtendienst Bloomberg, dass weitere 30 Mrd. Pfund zur Konsolidierung erforderlich sein werden, um die Schuldenlast auf einen nachhaltigen Kurs zu bringen.
Zuletzt muss Herr Sunak die britische Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs bringen. Das Trendwachstum im Vereinigten Königreich ist in den letzten Jahrzehnten nämlich deutlich zurückgegangen, und einige Ökonomen gehen von einer Wachstumsrate von durchschnittlich nur 1,2% in den nächsten 20 Jahren aus. Da der neue britische Regierungschef jedoch einer gespaltenen Partei und knappen Haushaltsmitteln gegenübersteht, ist ein Wirtschaftsboom, der durch die Politik ausgelöst wird, eher unwahrscheinlich.
Einige Hinweise zur weiteren Richtung der zukünftigen Politik gibt es schon. Herr Sunak merkte bereits an, er werde sich auf die Umsetzung des Wahlmanifests der Partei von 2019 konzentrieren. Es enthält beispielsweise eine Regel zum Anstieg der staatlichen Renten. Es gibt auch einige Hinweise auf Sunaks wahrscheinlichen politischen Ansatz aus seiner Zeit als Finanzminister. So zögerte er beispielsweise stets, sich mit der EU über das heikle Thema Nordirland anzulegen. Außerdem wird erwartet, dass Herr Sunak die harte Linie seiner beiden Vorgänger in Bezug auf den Einmarsch Russlands in der Ukraine fortsetzen wird. Als Finanzminister bemühte sich Herr Sunak außerdem um engere wirtschaftliche Beziehungen zu China. Während des Führungswettstreits mit Frau Truss warnte er aber auch, dass das Land eine „enorme Bedrohung für unsere nationale Sicherheit“ darstelle.
Schlussendlich sind diese Aussagen aber aktuell nur Hinweise, wie es politisch in Großbritannien weitergehen könnte. Gewissheit über zukünftige Politikmaßnahmen wird es erst in den nächsten Wochen geben. An Herausforderungen fehlt es dem neuen britischen Premierminister sicherlich nicht. Der Finanzmarkt hat Herrn Sunak bereits einen gewissen Vertrauensvorschuss gegeben – stammt er doch aus den eigenen Reihen. Ob er die an ihn gerichteten Erwartungen auch erfüllen kann, bleibt jedoch abzuwarten. Die immer schnellere Abfolge an britischen Regierungschefs in den vergangenen Jahren und Monaten macht die Aufgabe gewiss nicht leichter. Italien weiß davon ein Lied zu singen.