2020 war sicherlich ein turbulentes Jahr. So gehörte diesmal neben dem Dauerthema ‚Brexit‘ auch eine weltweite Pandemie zu den diesjährigen für die Ökonomie relevanten Ereignissen. Mit großer Beachtung wurden bzw. werden deshalb die volkswirtschaftlichen Indikatoren verfolgt. Diese sind nicht nur entscheidend für Wirtschaft und Politik, sondern auch für viele Investoren. Doch welche traditionellen Indikatoren existieren? Gibt es Alternativen? Wie werden diese erhoben? Und wie aussagekräftig sind sie letztlich?
Arten von Konjunkturindikatoren
Mit sogenannten Konjunkturindikatoren lassen sich Aussagen über die kommende, derzeitige oder bisherige wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft treffen. Hierzu unterscheidet man zwischen vorlaufenden, gleichlaufenden und nachlaufenden Indikatoren. Maßgeblich für eine Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung sind hier allerdings die vorlaufenden – oft auch als Frühindikatoren bezeichnet. Diese sollen schon vorab aufzeigen, wie die künftige Konjunkturentwicklung aussehen wird. Dennoch besteht hier die Schwierigkeit, dass diese Prognosen eventuell nicht zutreffen und dann zu früh Staub aufwirbeln oder Trends – wie Wendepunkte – nicht erkannt werden. Mit gleichlaufenden Wirtschaftsindikatoren sind Aussagen zu einer aktuellen Situation möglich, noch bevor endgültige Daten vorliegen. Sie können zudem die Ergebnisse der Frühindikatoren bestätigen oder widerlegen. Eine Prognose ist mit ihnen jedoch nicht mehr möglich, da sie den derzeitigen Zeitpunkt – also den ‚Ist-Zustand‘ – darstellen. Gleiches besteht bei den Spätindikatoren, die verzögert Informationen über die konjunkturelle Entwicklung preisgeben.
Beispiele von Frühindikatoren
Das Portfolio an traditionellen Frühindikatoren erstreckt sich lang: über Auftragseingänge, Baugenehmigungen, Einzelhandelsumsätze, Geldmengenwachstum, Lagerbestände bis zu Stimmungsindikatoren. Bei letzterem handelt es sich meist um Prognosen, die aus Umfragen hervorgehen. Bekannte Stimmungsindikatoren in Deutschland sind die Konjunkturerwartungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), der ifo Geschäftsklimaindex oder Einkaufsmanagerindizes. So basiert der ifo Geschäftsklimaindex auf monatlichen Befragungen von 9.000 Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, des Dienstleistungssektors, des Bauhauptgewerbes, des Großhandels und des Einzelhandels. Im Rahmen der Befragung geben diese Unternehmen Auskunft über ihre gegenwärtige Geschäftslage und teilen zudem ihre Erwartungen für die nächsten sechs Monate mit.
Problem traditioneller Indikatoren
Oft wird bei diesen Umfragen die Stimmungslage in groben Kategorien wie „besser“, „gleich“ oder „schlechter“ durchgeführt, was ein wesentliches Problem in deren Aussagekraft darstellt. Zwar lässt sich dadurch schnell eine Auswertung zusammenstellen, dennoch gibt der entsprechende Indikator keine Auskunft darüber, wie sehr sich etwas geändert hat. Ein starker Rückgang bedeutet z.B. nur, dass sehr viele Unternehmen gleichzeitig leiden, aber man keinen Überblickt erhält, wie tief der Abschwung tatsächlich ist. Sicherlich kommt hier die Komplexität des Wirtschaftskreislaufes durch seine zahlreichen Verflechtungen zum Tragen. Zum anderen ist für die Erhebung ein gewisser Zeitaufwand vonnöten. Je zeitintensiver sich traditionelle Indikatoren darlegen, desto höher ist gleichzeitig das Risiko, dass ihre Informationen veraltet sein können und nicht mehr als Prognose einzusetzen sind. Gerade auch in der aktuellen Corona Pandemie haben Ökonomen daher versucht neben den traditionellen auf alternative Indikatoren zurückzugreifen. Damit versuchen sie quasi in Echtzeit Hinweise auf den Zustanden der Wirtschaft zu bekommen, indem sie sich von dem zeitlichen Verzug – z.B. bei Umfragen – lösen.
Bewegungsdaten
Es zeigt sich, dass gerade hier die Digitalisierung der letzten zwei Jahrzehnte eine entscheidende Schlüsselfunktion einnimmt. Beispielsweise können Bewegungsdaten einen Hinweis zur konjunkturellen Entwicklung vorgeben. Das Smartphone als ständiger Begleiter liefert den Konzernen wie Google oder Apple Daten über das Bewegungsprofil des Besitzers. Damit lassen sich beachtliche Rückschlüsse rekonstruieren. So liefert Google Trends einen Mobilitätsbericht zur Coronakrise. Mit diesem lässt sich z.B. auswerten, dass im zweiten Lockdown (ab Anfang November) die Besucheranzahl in Orten des öffentlichen Lebens wie z.B. Restaurants, Museen, Bibliotheken, Kinos etc. um durchschnittlich 26% zurückgegangen ist. Hingegen das Aufsuchen von Supermärkten, Lebensmittelgroßmärkten, Bauernmärkten, Feinkostgeschäften, Drogerien und Apotheken um 5% im Bundesschnitt gestiegen sind. Für Arbeitsstätten gilt ein Rückgang von 17% auf Bundesebene. Um die Mobilität bzw. das Reiseverhalten einer Bevölkerung auszuwerten, greifen Ökonomen sogar auf die Daten in Verkehrs-Apps zurück. Kehren Beschäftigte an ihre Arbeitsplätze zurück, müsste sich dies in steigenden Passagierzahlen im öffentlichen Personennahverkehr niederschlagen.
Stromverbrauch
Doch seitdem das Arbeiten im ‚Home-Office‘ deutlich zugenommen hat, ist der Ansatz der Mobilitätsdaten vorerst zu kurz gedacht. Um wirklich eine triftige Prognose für eine konjunkturelle Entwicklung herzuleiten bedarf es mehr. Hierzu kann die Entwicklung des Stromverbrauches einen zusätzlichen Ansatz liefern. Deutschland als Industrienation dürfte dann einen möglichen Anstieg der Konjunktur verzeichnen, wenn Autobauer und Co ihre Produktion wieder hochfahren bzw. ausweiten. Damit einher geht das Konsumverhalten der Haushalte – hier die Auftragseingänge nach Neufahrzeugen. Im Mai 2020 lag die Veränderung des monatlichen Stromverbrauches bei –11,9% zum Vorjahresmonat. Fast drei Viertel des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland entfallen auf Industrie, Handel, Dienstleister und Gewerbe. Doch das Bewusstsein für das Klima steigt in vielen Branchen stetig. Auch bedarf die Analyse einer Bereinigung der Rohdaten, da der Stromverbrauch je nach Tagesverlauf, Wochen- und Feiertagen stark variiert, was eine Auswertung ohne größere Zeitreihen erschwert.
Transportwelt
Ein einfacherer Weg könnte sich stattdessen über den Lieferverkehr erstrecken. Steigt das Produktionsverhalten der Anbieter bzw. fragen die Haushalte vermehrt Güter nach, so muss auch der Lieferverkehr steigen. Täglich liefert deshalb der Lkw-Maut-Fahrleistungsindex ungefähre Anhaltspunkte zur Entwicklung der Industrieproduktion in Deutschland. Dieser befand sich Ende April in einem Jahrestief. Ebenso wertet seit April 2017 der „Global Kühne + Nagel Indicator“ (gKNi) täglich 250 Mio. Daten zur Vermessung der Transportwelt aus, um eine Prognose zu erlangen. Hierzu greift man auf die weltweit wichtigsten Seehäfen, über die Hälfte des Seehandels abgewickelt wird, und die 25 größten Frachtflughäfen, die 75% des Luftfrachtvolumens ausmachen. Nach eigenen Angaben sollen Analysten des amerikanischen Finanzdienstleisters Citigroup rückwirkend ermittelt haben, „dass die gKNi-Vorhersagen in 70 Prozent aller Fälle näher an den tatsächlichen Entwicklungen lagen als die Prognosen renommierter Wirtschaftsexperten“.
Sind alternative Indikatoren besser?
Durch die Digitalisierung hat sich eine Grundlage ergeben, auf der Ökonomen tagtäglich Informationen abrufen können. Dies stellt grundsätzlich einen erheblichen Vorteil gegenüber der Erhebung traditioneller Indikatoren dar. Dennoch lassen sich nicht alle Daten gleichermaßen als zuverlässige Alternativen einsetzen. Auch hier haben sich Schwächen gezeigt, wie beispielsweise, wenn Verhaltensveränderungen wie beim „Home-Office“ auftreten oder Rohdaten ebenfalls eine Aufarbeitung benötigen. Somit lassen sich alternative Indikatoren sicherlich als zusätzliche Unterstützen hinzuziehen, doch vorerst bleibt es dabei: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“.