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Weiche Landung oder Rezession – wohin geht die volkswirtschaftliche Reise?

Schon seit längerem stellt sich Beobachtern der Volkswirtschaft die Frage, wie es mit der Konjunktur angesichts hoher Inflation, hartnäckigen Lieferengpässen und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine weitergeht. Diese Frage hat in der vergangenen Woche mit der drastischen Drosselung russischer Gaslieferungen und dem weltweiten Anziehen der geldpolitischen Zügel weiter an Brisanz gewonnen.
Schon vor der russischen Invasion war klar, dass sich das wirtschaftliche Wachstum in diesem Jahr verlangsamen würde. In 2021 erlebte die Volkswirtschaft noch einen rasanten Anstieg, getragen von der schrittweisen Rücknahme der pandemiebedingten Einschränkungen und der helfenden Hand der Fiskal- und Geldpolitik. So konnte das Bruttoinlandsprodukt des Euroraums um rund 5% zulegen, in Deutschland betrug der Zuwachs knapp 3%.
Für dieses Jahr rechnete etwa der Internationale Währungsfonds (IWF) noch im Januar mit niedrigeren, aber immer noch soliden Wachstum. Basis hierfür war die Annahme, dass der Preisauftrieb sich beruhigen und die Lieferengpässe nachlassen würden. Doch der Krieg in der Ukraine hat diese Erwartungen über den Haufen geworfen und die Wachstumserwartungen schrumpfen lassen. Dies gilt insbesondere für Länder wie Deutschland, die stark von russischen Energieimporten abhängig und besonders von den anhalten Lieferengpässen betroffen sind. Vor diesem Hintergrund kürzte der IWF seine Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum im April deutlich um 1,7 Prozentpunkte auf nur noch 2,1%.
Momentan sind zwei Pfade für den weiteren Gang der Konjunktur denkbar. Im „günstigen“ Fall steuert die Wirtschaft auf ein Stagnationsszenario zu, gekennzeichnet von niedrigem Wachstum bei relativ hoher Inflation. Diese Erwartung wird beispielsweise von der US Notenbank Fed vertreten, die für die US Konjunktur auf eine „weiche“ Landung hofft, wohlwissend, dass dies historisch gesehen recht selten gelungen ist. Auch die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen nannte eine Rezession nicht „unvermeidbar“.
Im alternativen Fall könnte die US Wirtschaft auf eine Rezession zusteuern, was aufgrund der Größe der amerikanischen Volkswirtschaft sich auch für den Rest der Welt negativ auswirken würde. Eine solche Entwicklung befürchten eine zunehmende Zahl von Volkswirten, wie eine jüngst veröffentlichte Umfrage der Financial Times ergab. Dieser zufolge rechnen fast 70% der befragten Ökonomen mit einem Konjunktureinbruch in den USA im kommenden Jahr. Um die Wahrscheinlichkeit für diese beiden möglichen Szenarien besser beurteilen zu können, hilft es, die auf die Weltwirtschaft einwirkenden Kräfte genauer unter die Lupe zu nehmen.
Das Thema Lieferengpässe begleitet die Industrie schon seit Beginn der Pandemie im Frühling 2020, zuerst aufgrund der Bemühungen, die Ausbreitung des Virus zu begrenzen. Als diese Maßnahmen dann schrittweise zurückgenommen wurden und die aufgestaute Nachfrage sich entlud, konnte die Angebotsseite der Wirtschaft damit nicht Schritt halten. Die Hoffnung, dass dieses Ungleichgewicht nur vorübergehender Natur sein würde, wurde regelmäßig enttäuscht. Durch den Krieg in der Ukraine und den gegen Russland gerichteten Sanktionen hat sich die Lage weiter verschärft. Hinzu kommt als Belastungsfaktor die Lockdowns in Peking und Schanghai, wie eine aktuelle Umfrage des Ifo-Instituts aufzeigt. Dieser zufolge sehen mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes eine verschärfte Behinderung ihrer Produktion aufgrund der aktuellen Lage in China.
Lieferengpässe sowie steigende Kosten für Rohstoffe und Vorleistungsgüter haben dazu beigetragen, dass die Produzentenpreise im Euroraum im April um rekordhohe 37,2% im Jahresvergleich angestiegen sind. In Deutschland wurde im Mai ein Allzeithoch von 33,6% verzeichnet. Wegen der aufgestauten Nachfrage können einige Unternehmen die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weiterreichen. So haben sich laut Ifo Institut aus diesem Grund die Geschäftserwartungen in der deutschen Automobilindustrie zuletzt merklich aufgehellt. Gleichzeitig führt dies aber dazu, dass die ohnehin hohen Verbraucherpreise weiter ansteigen.
Im Euroraum betrug der Anstieg der Inflation im Mai rekordhohe 8,1%, wobei die Berechnungen bis ins Jahr 1997 zurückreichen. In den USA erreichten die Verbraucherpreise mit 8,6% den stärksten Zuwachs der vergangenen 40 Jahre. Dieser Verlust an Kaufkraft dürfte die Konsumperspektiven in diesem Jahr dämpfen. Die Haushalte profitieren zwar von der günstigen Entwicklung am Arbeitsmarkt. In vielen Ländern ist die Arbeitslosenrate mittlerweile niedriger als vor Beginn der Pandemie. Dies hilft höhere Lohnforderungen durchzusetzen. Doch der damit erzielte Einkommenszuwachs kann mit der rasant gestiegenen Inflation nicht mithalten.
Helfen könnte in dieser Situation die während der Pandemie angehäuften Überschussersparnisse. Allerdings sind diese nicht gleich verteilt, sondern tendenziell in der Hand der Älteren und der höheren Einkommensgruppen konzentriert, wie eine Studie der Europäischen Zentralbank aufgezeigt hat. Auch ist unklar, wie groß der Anteil dieser Ersparnisse sein wird, der tatsächlich in den Konsum fließt.
Als weiterer und erheblicher Bremsfaktor für die Konjunktur könnte sich die Geldpolitik erweisen. Wenig überraschend hat die hartnäckig hohe Inflation die Notenbanken zum Kurswechsel gezwungen. Allein in den vergangenen beiden Wochen haben die amerikanische Fed, die Bank of England und die Schweizer Nationalbank zum Teil drastische Zinserhöhungen durchgeführt. Auch die EZB beendet ihre Wertpapierkaufprogramme und hat für Juli und September bereits zwei Zinsschritte angekündigt, die das Ende der langjährigen Negativzinsen einläuten würden. Die Finanzmärkte rechnen auf Sicht der kommenden 12 Monate zudem mit deutlich höheren Leitzinsen. Im Euroraum könnten diese auf nahezu 2% ansteigen, in den USA sogar in Richtung 4% marschieren. Derartig starke und schnelle Zinsanhebungen erhöhen das Risiko, dass die Volkswirtschaft eine Bruchlandung erlebt und in 2023 in eine Rezession schlittert.
Ob es soweit kommt, liegt vor allem an der weiteren Inflationsentwicklung. Die meisten Zentralbanken gehen davon aus, dass die Inflation auch im kommenden Jahr noch vergleichsweise hoch sein wird. Doch bereits in 2024 soll sich der Preisauftrieb bereits wieder dem 2% Ziel nähern. So rechnet die EZB beispielsweise damit, dass die Inflation nach knapp 7% in diesem Jahr auf 3,5% in 2023 abnimmt und im darauffolgenden Jahr mit 2,1% fast auf der Ziellinie enden wird.
Dies setzt allerdings voraus, dass es nicht zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt, oder dass ein plötzliches Ende der russischen Gaslieferungen die Inflation weiter anheizt. Ein Warnzeichen in diese Richtung sind die eingangs erwähnte deutliche Kürzung der Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 um 40% in der vergangenen Woche sowie die jüngste Forderung der IG Metall nach Lohnerhöhungen von bis zu 8%. Eine solche Entwicklung, bei der die Inflation anhaltend hoch bleibt, würde die Notenbanken zu einer deutlich restriktiven Geldpolitik zwingen und damit die Hoffnung auf eine weiche Landung der Volkswirtschaft beerdigen.